Amsterdam
von Mrs. Garmony, darunter ihr »Liebe ist stärker als Haß«. Was den Judge selbst betraf, so waren die führenden Mitarbeiter froh, daß ihre Vorbehalte protokolliert worden waren, und die meisten Journalisten neigten zu der Auffassung, daß Grant McDonald recht hatte, als er in der Kantine sagte, nachdem seine Befürchtungen ungehört verhallt seien, habe er sein Bestes getan, sich loyal zu verhalten. Bis Montag hatten sie sich alle auf ihre Befürchtungen besonnen und auf ihre Bemühungen, sich loyal zu verhalten.
[153] Verwickelter, ja ziemlich nervenaufreibend war die Angelegenheit für die Herausgeber des Judge, die am Montag nachmittag zu einer Krisensitzung zusammentraten. Wie konnten sie einen Chefredakteur entlassen, den sie erst am Mittwoch zuvor einmütig unterstützt hatten?
Schließlich, nach zwei Stunden beständigen Hin und Hers, hatte George Lane eine gute Idee.
»Hören Sie, es war ja nicht verkehrt, die Fotos zu beschaffen. Ich kann Ihnen sogar sagen, daß ich gehört habe, er habe sie zu einem ziemlich günstigen Preis bekommen. Nein, Hallidays Fehler bestand darin, daß er, als er Rose Garmonys Pressekonferenz sah, auf die Titelseite nicht umgehend verzichtet hat. Er hätte genügend Zeit gehabt, die Fotos zu stoppen. Er wollte sie ja erst in der Spätausgabe bringen. Daß er die Sache trotzdem durchgezogen hat, das war sein Irrtum. Am Freitag hat sich das Blatt lächerlich gemacht. Er hätte spüren müssen, woher der Wind weht, und aussteigen müssen. Wenn Sie mich fragen, handelt es sich um ein schweres Versagen seiner Urteilsfähigkeit als Chefredakteur.«
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Am folgenden Tag führte der Chefredakteur den Vorsitz bei einer Besprechung mit seinen führenden Mitarbeitern. Es herrschte eine gedrückte Stimmung. Tony Montano saß etwas abseits, ein stummer Beobachter.
»Es wird Zeit, daß wir mehr regelmäßige Kolumnen bringen. Die kosten wenig, und alle anderen haben auch welche. Ihr wißt schon, wir heuern jemanden mit niedrigem bis mittlerem Intelligenzgrad an, möglichst eine Frau, die über, nun ja, über nichts Bestimmtes schreiben soll. Geht auf eine Party und kann sich nicht mehr an den Namen von jemandem erinnern. Zweihundertfünfzig Zeilen.«
»Eine Art Nabelschau«, suggerierte Jeremy Ball.
»Nicht ganz. Das klingt zu intellektuell. Eher eine Art Nabel geplauder .«
»Kann ihr Videogerät nicht bedienen. – Ist mein Hintern zu dick?« schlug Lettice hilfreich vor.
»Das ist doch schon mal gut. Nur weiter so.« Der Chefredakteur wedelte mit den Fingern in der Luft, um ihnen Ideen zu entlocken.
»Äh, der Kauf eines Meerschweinchens.«
»Sein Katzenjammer.«
»Ihr erstes graues Schamhaar.«
»Immer kriegt sie im Supermarkt den Einkaufswagen mit dem eiernden Rad ab.«
[155] »Ausgezeichnet. Gefällt mir. Harvey? Grant?«
»Em, verliert ständig Kulis. Wohin verschwinden die bloß?«
»Ehem, muß mit der Zunge ständig sein klitzekleines Zahnloch befühlen.«
»Glänzend«, sagte Frank. »Besten Dank allerseits. Wir machen morgen damit weiter.«
[157] V
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Frühmorgens, nach der milden Aufregung des Tagesanbruchs, wenn London bereits geräuschvoll zur Arbeit ging und Clives schöpferische Unruhe einer tiefen Mattigkeit wich, gab es Augenblicke, da Clive sich vom Flügel erhob, zur Tür schlurfte, um die Atelierbeleuchtung auszuschalten, sich nach dem großen, schönen Durcheinander umblickte, das seine Plackerei umgab, und wieder einmal einen flüchtigen Gedanken hatte, das winzige Bruchstück einer leisen Ahnung, die er mit niemandem auf der Welt geteilt, nicht einmal seinem Tagebuch anvertraut hätte und deren Schlüsselwort er im Geist nur widerstrebend formulierte; der Gedanke war schlicht und ergreifend, daß es nicht übertrieben sein mochte, zu sagen, daß er… ein Genie war. Ein Genie. Aber wenn er es auch – schuldbewußt – vor seinem inneren Ohr aussprach, so hütete er sich doch, es über die Lippen zu bringen. Er war kein eitler Mensch. Ein Genie. Es war ein Begriff, der unter übermäßigem Gebrauch gelitten hatte, doch unzweifelhaft galten gewisse Leistungsanforderungen, ein Goldstandard, der unumstößlich war und keine bloße Glaubensfrage. Viele davon hatte es nicht gegeben. Unter seinen Landsleuten natürlich Shakespeare und, angeblich, Darwin und Newton. Purcell beinahe. Britten weniger, obwohl immerhin in Reichweite. Aber einen Beethoven hatte es hier nicht gegeben.
[160] Wenn er diese Vermutung über sich selbst
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