dass er ihren Rasen mit seinen Kunstwerken verschandelte. Meine Mutter war – außer zur letzten – zu allen
meinen Aufführungen gekommen. Und sie hatte mir immer Blumen mitgebracht. Obwohl ich das damals total peinlich fand, konnte ich sie immer aus den jubelnden Zuschauern heraushören, wenn wir uns am Ende verbeugten.
Ich rief sie auf dem Handy an und tippte den Code ein, damit ich ihr direkt eine Nachricht auf die Mailbox sprechen konnte. »Hallo, Mom«, sagte ich nach dem Piep. »Ich, äh, wollte mich nur mal bei dir melden. Wir sind in Kentucky. Alles in Ordnung. Du musst dir also keine Sorgen machen.« Ich legte auf und starrte auf das Display. Ich hatte diesen Gedanken immer verdrängt, aber vermutlich war sie in der Tat besorgt. Vielleicht half das ja jetzt ein bisschen. Mir fiel ein kleiner Stein vom Herzen und ich legte mich schlafen.
Als ich am nächsten Morgen die Treppe hinunterging, um nachzusehen, ob Roger schon wach war und vielleicht sogar Kaffee gemacht hatte, bemerkte ich etwas auf der vorderen Veranda und ging neugierig hin. Und was sah ich da auf der obersten Treppenstufe sitzen? Eine kleine, aus einem Busch geschnittene Eule. Ich nahm sie in die Hand und sah sie mir genauer an. Über dem Schnabel und rund um die Augen waren Furchen zu erkennen und einen Moment später begriff ich, dass das eine Brille sein sollte.
POSTEINGANG
[email protected] VON
BETREFF
STATUS
Charlie Curry
hi
gelesen
Julia Andersen
Letzte Mail
ungelesen
Von: Charlie Curry (
[email protected])
An: Amy Curry (
[email protected])
Betreff: hi
Datum: 10. Juni
Zeit: 16:45 Uhr
hi ...
wollte mich nur mal melden & hören, ob bei dir alles okay ist. hab mom ’ne mail geschrieben und nachgefragt & sie meinte, dass sie nicht drüber reden will, aber du würdest sie ››sehr enttäuschen«.
klingt zwar irgendwie untypisch für dich, aber gratuliere!
hoffe jedenfalls, dass dir’s gut geht.
charlie
Von: Ich (
[email protected])
An: Charlie Curry (
[email protected])
Betreff: Re: hi
Datum: 10. Juni
Zeit: 23:45 Uhr
Hi ... schön, von dir zu hören.
Ich hoffe, es läuft okay bei dir und dir geht’s gut.
Bin gerade in Kentucky (längere Geschichte). Sagen wir mal so: Mom ist stinksauer auf mich, was aber absolut auf Gegenseitigkeit beruht. Muss ich dir irgendwann mal erzählen. Wär echt schön, wenn man dich dort anrufen könnte. Macht sich irgendwie besser so im direkten Gespräch.
Bis bald, hoffentlich dann persönlich.
Amy
She met a boy up in Kentucky.
– Steve Earle
»Sie ist jetzt da«, ließ uns Lucien wissen. Kurz nachdem ich die Eule gefunden hatte, tauchte er im Gästehaus auf. Roger erschien direkt nach ihm auf der Bildfläche und goss sich schweigend ein Glas Wasser ein.
»Gerade angekommen?«, erkundigte ich mich.
»Gerade eben«, antwortete er, ging zum Tisch und nahm sich eine Banane aus dem Obstkorb, den er mitgebracht hatte. »Sie bringt jetzt wahrscheinlich erst mal den Pferdehänger zu den Ställen, führt die Pferde in die Boxen und fährt dann zurück zum Haupthaus.« Inzwischen hätte es mich eigentlich nicht mehr überraschen sollen, dass es auch Ställe gab, tat es aber trotzdem. »Ich hab mir da mal was überlegt«, fuhr er in Rogers Richtung fort. »Amy und ich könnten uns ein bisschen verkrümeln, dann könntest du rüber zum Haus fahren, sodass Had vielleicht gar nicht mitkriegt, dass ihr hier übernachtet habt.«
Roger zuckte die Schultern. »Mir doch egal, ob sie’s erfährt«, entgegnete er gereizt. »Ich werd deswegen jedenfalls keinen belügen.«
»Okay«, sagte ich, schaute ihn an und versuchte herauszufinden, was in ihm vorging. Ich war früh aufgewacht, hatte meine Mails gecheckt und ein bisschen über Charlies Einrichtung recherchiert. Julias Nachricht hatte ich noch nicht
gelesen, sondern nur eine Weile auf die Betreffzeile gestarrt und dann den Gästehaus-Laptop wieder zugeklappt. Roger hatte sich den ganzen Morgen in seinem Zimmer verschanzt, sodass es keine Gelegenheit gab, mit ihm über den vergangenen Abend zu reden. Er wirkte ziemlich abwesend, was angesichts der bevorstehenden Begegnung mit Hadley ja durchaus verständlich war. »Dann ist es bestimmt auch besser, wenn ich nicht neben dir im Auto sitze, oder?«
Roger sah mich kurz an und nickte. »Okay.« Lucien, der wahrscheinlich Rogers angespannte Stimmung spürte, ging schon mal raus und lud das Gepäck in den Wagen. Als die Tür hinter ihm