Amy on the summer road
Leonard«, sagte Roger.
»Hi, Sullivan«, antwortete der Typ, der offenbar Leonard hieß und uns zur Begrüßung lässig die Ghetto-Faust entgegenhielt, ohne den Blick vom Bildschirm zu heben.
»Und? Wie läuft’s gerade so bei Honour Quest?«, erkundigte sich Roger.
»Ich hab’s schon in den Wald der Verdammnis geschafft«, ließ er uns wissen.
»Ich seh schon«, antwortete Roger und beugte sich über das Sofa in Richtung Bildschirm. »Krasse Sache.«
»Was machst du denn hier?«, fragte Leonard. »Ich dachte, du bist in Kalifornien. Bleibst du die Ferien jetzt hier?«
»Nein«, entgegnete Roger. »Ich muss den ganzen Sommer in Philadelphia verbringen.«
»Ach du Scheiße«, kommentierte Leonard. Sein virtuelles Ich stapfte in der Gegend herum und wedelte mit einem Schwert.
»Wir werden heute hier pennen«, erklärte Roger. »Ich hab mit Bron geredet, und sie meinte, das geht klar. Ist es okay, wenn ich das freie Bett in deinem Zimmer nehme?«
»Klar«, nickte Leonard. »Je mehr Leute, desto besser und so. Schmeiß dein Zeug einfach irgendwohin. Ich hab auch gehört, dass es im Quiet Dorm heute Abend eine kleine Party geben wird. Wird bestimmt heftig.« Er hob den Blick und bemerkte mich anscheinend jetzt erst. »Oh, hallo«, sagte er. »Leonard Cho.«
»Amy Curry«, antwortete ich.
»Angenehm«, murmelte er und widmete sich dann wieder seinem Bildschirm. »Versuch auf jeden Fall, Conrads Zimmer zu meiden. Er hat ein Karnickel in seinem Schrank gehalten, aber das ist auf ihn losgegangen.«
»Ein Karnickel?«, fragte ich, weil ich dachte, ich hätte mich verhört.
»Auf ihn losgegangen? «, wiederholte Roger.
Leonard schüttelte den Kopf. »Sieht gar nicht gut aus. Erspart euch den Anblick lieber.«
»Alles klar«, erwiderte Roger. »Danke, Mann.« Er sah mich mit hochgezogener Augenbraue an und ging in die Küche. Ich folgte ihm und schaute mich ein bisschen um. Es sah ganz danach aus, als ob die Küche von mehreren Leuten benutzt wurde, die nicht immer so ganz entspannt miteinander
auskamen. Darauf deuteten diverse Pläne an der Wand hin, in denen Müllentsorgung und Putzpflichten geregelt waren. Außerdem gab es abschließbare Schrankfächer, und an die Wand hatte jemand geschrieben: WENN IHR NUR EUER EIGENES VERDAMMTES ZEUG ESST, DANN GIBT’S AUCH KEINEN STRESS.
»Na dann«, sagte Roger und ging quer durch die Küche, »willkommen im International House. Meine Freundin Bronwyn ist hier den Sommer über Quartierchefin und sie meinte, dass wir heute hier übernachten können. Du kannst bei ihr im Zimmer pennen.« Er ging eine schmale dunkle Treppe mit ausgetretenem Teppich hinauf und ich folgte ihm.
»Und das ist echt okay für sie?«, wollte ich wissen und kapierte endlich, was es mit BRON vorhin auf dem Handy auf sich hatte. Roger blieb vor einer Tür mit einer weißen Tafel daran stehen. Darauf standen Unmengen von Nachrichten, in denen es fast immer um ein Karnickel ging.
»Absolut«, versicherte er mir. »Ich bin dann drüben über den Flur in Leonards Zimmer.« Er zeigte auf die Tür. »Er kommt kaum vom Sofa hoch, wahrscheinlich werde ich die Bude so ziemlich für mich alleine haben.« Roger machte Bronwyns Tür auf, und dahinter kam ein chaotisches Zimmerchen zum Vorschein, das wie ein einziger gigantischer Kleiderschrank aussah. Überall hingen Kleidungsstücke herum. Die kleine Kommode quoll über und obendrauf lagen stapelweise Oberteile. An einer Wand stand wohl ein Bett, was man allerdings nicht so richtig erkennen konnte, weil auch das über und über mit Klamotten bedeckt war.
»Wow«, machte ich und sah mich um.
»Ich weiß«, sagte er. »Sie hat da so ein kleines Kaufrauschproblem.« Er sah zu mir herunter. »Ist das in Ordnung für dich?«, vergewisserte er sich. »Ich meine, wir können uns natürlich immer noch ein Hotel suchen, wenn dir das lieber ist ...«
Ich schüttelte den Kopf und sagte: »Passt schon.« Aber das stimmte so nicht ganz. Eigentlich hatte ich keinen Funken Lust darauf, das Zimmer mit einer Studentin zu teilen, die ich noch nie gesehen hatte und die das wahrscheinlich auch nicht so berauschend fand. Aber Roger fand es offenkundig so toll, hier zu sein, dass ich es nicht fertigbrachte, ihn zu enttäuschen.
Erleichtert grinste er mich an – das war wohl die Antwort gewesen, auf die er gehofft hatte. »Super. Dann geh ich jetzt mal die Sachen aus dem Auto holen. Bin gleich wieder da.« Und noch ehe ich etwas dazu sagen konnte, war er auch schon
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