Amy on the summer road
seufzte und ließ die Hand sinken. Deshalb also war er so versessen darauf gewesen, den Anruf selbst entgegenzunehmen. »Also«, sagte die Stimme am Telefon, »ich meine Roger.«
»Ja klar«, antwortete ich, immer noch grinsend. »Momentchen bitte.« Ich gab ihm das Telefon. »Magellan , Anruf für dich.«
»Diese Spitznamen sind nur Spaß«, zischte er und nahm das Handy. »Hi, Cheeks«, sagte er. »Hör zu, wir sind grad bei dir um die Ecke ... was?«
Wieder schielte er zu mir hin. »Ach so ... nö. Nur ’ne Bekannte. Hadley ist in Kentucky.«
Jetzt war ich dran mit Betreten-Gucken. Ich blickte starr aus dem Fenster, bis Roger mit der Hand wedelte, um meine Aufmerksamkeit zu gewinnen, und heftige Schreibbewegungen vollführte. Ich nahm einen Stift und kritzelte die von Roger diktierte Adresse und Wegbeschreibung zum Wichita Country Club auf eine Sonic-Papierserviette.
Als Roger aufgelegt hatte, schaute er mich nicht an, sondern starrte auf die Straße, als ob es dort außer dem endlosen Highway und dem wolkenverhangenen Himmel irgendwas zu sehen gab. »Drew meint, dass wir in etwa 20 Minuten da sein müssten. Ich schätze, er hat gleich Feierabend.«
»Oh, prima«, murmelte ich. »Magellan?«
»Bitte, von mir aus«, sagte er, und ich sah, dass er ein bisschen
rot wurde. »Ich hab dir doch gesagt, dass das mit den Spitznamen bloß Blödsinn war.«
»Ich find’s lustig«, widersprach ich. »Hat das was mit deinen Entdeckern zu tun?«
»Ja natürlich«, brummte Roger. »Aber irgendwann ist es aus dem Ruder gelaufen. Echt. Manche auf der Etage kannten meinen richtigen Namen gar nicht. Hadley fand es voll bescheuert.« Da war wieder dieser Klang in seiner Stimme, wie immer, wenn er ihren Namen aussprach. So eine Kombination aus wehmütig und resigniert.
»Ich find’s jedenfalls witzig«, beharrte ich leise.
Roger lächelte mich kurz an. »Das fand ich am Anfang auch. Aber nach einem halben Jahr, wenn die Leute dich so quer durchs College rufen, ist es nicht mehr komisch.« Er zeigte auf die Serviette auf der Ablage zwischen uns. »Bereit, zu navigieren, Chekov?«
Ich nahm die Serviette, strich sie glatt und versuchte, mein Gekritzel zu entziffern. »Kann losgehen.«
Wie versprochen fuhren wir zwanzig Minuten später vor dem Wichita Country Club vor. In einem Holzhäuschen saß ein ziemlich bedrohlich wirkender Wachmann, der die ankommenden Autos kontrollierte, sodass wir lieber die Straße ein Stück weiterfuhren und dort parkten. Wir waren gerade ausgestiegen und Roger hatte sein Handy rausgekramt, um Drew noch einmal anzurufen, als wir plötzlich quietschende Reifen hörten. Aus der Ausfahrt kam ein kleiner roter Flitzer direkt auf uns zugerast.
»Wenn das mal nicht Cheeks ist«, kommentierte Roger breit grinsend. Das Gefährt vollzog eine elegante Wendung
und kam direkt neben unserem Liberty zum Stehen. Die Fahrertür ging auf und ein Typ mit rundlichem Gesicht kam zum Vorschein. Er trug ein türkisfarbenes Poloshirt, gebügelte Kakihosen und Lederslipper. »Mensch, Alter«, rief Roger und ging zu ihm hinüber. »Du siehst ja aus, als wolltest du mir gleich eine Versicherung andrehen. Oder mich für eine Studentenverbindung anwerben.«
»Magellan«, rief Drew, und dann gab es eine dieser kurzen Männerumarmungen, die im Wesentlichen aus ein paar derben Schlägen auf den Rücken bestehen. »Du siehst hier einen frischgebackenen Golfassistenten des Wichita Golf Clubs vor dir.«
»Du meinst, Golfassistent – so was wie ... Golftaschenträger?« , fragte Roger.
»Oh, das ist keineswegs alles«, verkündete Drew. »Es ist eine Kunst. Ich muss die richtigen Schläger auswählen, die Grüns lesen ...« Dabei gestikulierte er ausladend und in dem Moment bemerkte er mich offenbar. »Oh, hallo«, begrüßte er mich und schenkte mir ein breites Lächeln. Mir fiel auf, dass seine Stimme plötzlich irgendwie tiefer klang.
All das nahm ich mit einiger Überraschung und einem zunehmend unbehaglichen Gefühl wahr. Offenbar fand er mich hübsch. Zweifellos lag das nur an Bronwyns Klamotten, und ich war wieder mal sauer auf sie, weil sie mir das angetan hatte. Mir war es viel lieber, unsichtbar zu sein. Das machte alles einfacher. Ich spürte mein Herz klopfen, als ich sah, wie er mich erwartungsvoll anlächelte, und fand es grauenhaft, wie peinlich sich plötzlich die einfachste Kommunikation anfühlte. Mein früheres Ich hätte einfach zurückgelächelt
und sicher ein bisschen geflirtet, nur so aus Spaß.
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