An den Feuern von Hastur - 9
ich ebenso wie du. Der Tag wird kommen, wenn du — wie alle Bewahrerinnen — allein deinem eigenen Gewissen verantwortlich sein wirst. Vorerst mußt du jedoch tun, was dir gesagt wird. Marelie ist eine harte Zuchtmeisterin und duldet keinen Ungehorsam. Du mußt ihren Befehlen nicht nur dem Sinn
nach gehorchen, sondern ebenso dem Buchstaben nach. Du darfst nicht auf eigene Faust deine Laran-Kr ä fte erproben, keine Ausfl ü ge in die ü berwelt machen und nicht ohne Befehl in das Wetter eingreifen. Und es wird dir nicht gelingen, dich herauszureden. Fiora gestattete sich die Andeutung eines L ä chelns. Schließlich ist auch sie eine Hastur, und als M ä dchen ist sie wahrscheinlich ä hnlich wie du gewesen. Deshalb kennt sie wahrscheinlich all deine kleinen Tricks. Wie dem auch sei, ich habe nichts mehr damit zu tun. Der ComynRat ist informiert worden und hat Marelies Bitte mit seinem Befehl unterst ü tzt, was ich dir h ä tte sagen m ü ssen, wenn du nicht h ä ttest gehen wollen. Du m ü ßtest eine Bittschrift an den Rat richten, um davon befreit zu werden — obwohl ich mir nicht vorstellen kann, daß du den Rat in dieser Sache beeinflussen k ö nntest. Allerdings vermute ich, daß es dir bei fr ü heren Gelegenheiten gelungen ist. Ich bin bereit zu tun, was der Comyn-Rat befohlen hat , erkl ä rte Leonie korrekt, wie es sich f ü r eine pflichtbewußte Tochter der Hasturs schickte. Aber Ihr werdet mir fehlen! rief sie aus. Ehrlich, Fiora, Ihr werdet mir fehlen! Ihr seid soviel freundlicher zu mir gewesen, als ich es verdiente!
Fiora l ä chelte Leonie mit echter Herzlichkeit zu.
Und Ihr werdet mir fehlen, domna. Bem ü ht Euch, uns dort Ehre zu machen , sagte sie. Und jetzt mußt du gehen. Sag deiner Dienerin, daß sie deine Sachen packen soll — du weißt doch, daß sie dich nicht nach Arilinn begleiten darf? Dort gibt es keine menschlichen Dienstboten, weil sie nicht durch den Schleier gelangen k ö nnen — durch die Fallenmatrix, die dich im Arilinn-Turm sch ü tzt.
Fiora erinnerte sich gut an den Schleier und den Turm innerhalb des Schleiers. Aber nicht mit Beklommenheit, denn dank dem Schleier war der Arilinn-Turm der einzige Ort in s ä mtlichen Dom ä nen, wo ein Telepath vollst ä ndig von dem L ä rm der Gedanken draußen abgeschirmt werden konnte, ohne einen eigenen Schutzschirm errichten zu m ü ssen. Niemals durchdrang ein verirrter Gedanke den Schleier. Marelie hatte gesagt, fr ü her einmal h ä tten alle T ü rme eine solche Schutzvorrichtung gehabt. Fiora w ü nschte sich manchmal, in Dalereuth gebe es sie noch. Ein Turm, der nichts enthielt als ausgebildete, disziplinierte Telepathen, hatte etwas so Friedliches.
Aber das werde ich niemals mehr bekommen, und deshalb hat es keinen Sinn, wenn ich mich danach sehne.
Diese Mitteilung war f ü r Leonie ein kleiner Schreck, was Fiora nicht besonders ü berraschte. Die Hastur-Tochter hatte sich noch nie im Leben ohne eine Dienerin beholfen. Muß ich mich dann allein anziehen? fragte sie und seufzte. Sie dachte an ihre komplizierten Kleider mit Verschn ü rungen auf dem R ü cken, mit langen Reihen von Haken und ö sen oder Kn ö pfen, an Mieder, die so und nicht anders angezogen werden mußten, und an die Schichten von Unterr ö cken. Es war schwer, an sie heranzukommen, und noch schwerer war es, selbst mit Hilfe einer Dienerin, sie richtig zu schließen. Schon gut, wenn Ihr es gelernt habt, werde ich wohl auch lernen, was sein muß. Sie besaß einfachere Kleidung. Vielleicht kam sie ganz gut zurecht, wenn sie nur diese einpackte. Aber sie mochte es nicht, wenn sie unordentlich aussah, und bis sie sich daran gew ö hnt hatte, sich selbst anzukleiden, w ü rde sie wahrscheinlich unordentlich aussehen.
Fiora lachte vor sich hin. Nein, Liebes, du wirst nicht wie ein halbangezogener Sausewind herumlaufen m ü ssen. Es gibt reichlich Dienstboten dort, aber es sind alles kyrri — Nichtmenschen. Sie werden sich um dich k ü mmern. Außerdem sind die Roben einer MatrixArbeiterin und einer Bewahrerin einfacher als deine Hoftoiletten. Ich habe mich mein ganzes Leben lang allein angekleidet, und es kommen bestimmt Zeiten, in denen du gar kein intelligentes Lebewesen in deiner N ä he haben m ö chtest. Und du wirst nicht so viele Sachen brauchen, wie du jetzt tr ä gst, denn im Arilinn-Turm ist es zu jeder Jahreszeit so warm wie an einem Hochsommertag.
Oh. Von neuem war Leonie ü berrascht. Noch nie hatte ihr jemand so viel ü ber Arilinn erz ä hlt —
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