An den Gestaden von Chaldewallchan - Der Atem des Drachen (German Edition)
Boot.
„Himmel! Herrgott!“, flüsterte er demütig, „wir werden ste r ben!“
„Juuuhuuuu!“, jubelte Floogan hingegen umso euphorischer und genoss die erfrischende Gischt, „das iss sie! Meine launische Braut und ihr salziger Empfang! Herrlich!“
Marcus konnte die Begeisterung des alten Seemanns nicht teilen, schüttelte verständnislos den Kopf und versuchte weiter, ihr Vo- r ankommen zu beschleunigen.
Floogan johlte vor Freude, als er das alte Segel mit einem kräft i gen Leinenzug den Hauptmast emporzog und das löchrige Le i nentuch sich flatternd aufblähte.
„Greif dir das Ruder, Marcus!“, schrie er gegen das fauchende Branden des Meeres, „wenn wir längs zu den Wellen kommen, werden sie uns umreißen!“
„Ey, ey, Kapitän!“, entgegnete der Wirt mit launischem Spott, zog rasch die langen Paddel ein, warf sie auf das überschwemmte Deck, stapfte unsicher schwankend durch das eiskalte Wasser zum Heck und packte unverzagt die wild um sich schlagende Ru-derstange.
Um den Kurs zu halten, stemmte er sich mit seinem ganzen Gewicht gegen die altfasrige, vom Salz des Meeres g e schwärzte Holzstange, die bedenklich ächzend seiner harten Führung zu gehorchen schien.
Ein unerwartet heftiger Wind fegte vom Land her auf die mürr i sche See hinaus und machte das kleine Boot zum Spielball der entfesselten Elemente. Floogan hatte alle Mühe, das heftig ze r rende Segel in Zaum zu halten, während die aufgepeitschten Wel-len sich gierig über das kleine Boot warfen und es zu verschli n gen drohten.
„Siehst du es?“, aufgeregt deutete Floogan zum Hafen.
Marcus blickte über seine Schulter, rieb sich mit einer Hand die beißende Gischt aus den Augen und erstarrte bei dem Anblick der mächtigen Gyntiver, die voll aufgetakelt zwischen den g e schlossenen Häuserreihen hindurchbrach und wuchtig auf der verlassenen Promenade aufschlug.
„Das muss die verschollene Gyntiver sein, Marcus! Raphaels legendärer Weltensegler!“, freute sich Floogan lautstark, „mein Großvater hat mir davon erzählt! Die alten Schienen bringen sie zurück, hat er immer gesagt, und ich will verdammt sein, der alte Herr hatte Recht und keiner hats ihm geglaubt! Ha!“
Die Räder des stählernen Schlittens, auf dem der riesige Dreima s ter ruhte, zermalmten die massiven Sandsteingehwände, ohne auch nur einen Deut langsamer zu werden.
Selbst der gigantische, schmiedeeiserne Anker am Heck des Schiffes, der durch die anhaltenden Erschütterungen aus seiner rostigen Halterung gelöst und nun wild an seiner langen, gro ß gliedrigen Fessel zerrte, vermochte die stürmische Fahrt zu bre m sen. Wie eine unförmige Egge durchpflügte er unerbittlich die Eingeweide der Hafenstadt.
Der Schiffsrumpf durchbrach die niedrige Kaimauer und übe r querte dabei zwei grobe, seltsam geformte Metallbolzen, die vor fast tausend Jahren unmittelbar am Ende der Gleise im Boden verankert worden waren und seitdem als stumme Monumente des alten Volkes auf die Erfüllung ihrer Aufgabe warteten, ohne dass je einer der geschäftigen Bürger Endlants ihren genauen Zweck hinterfragt hatte.
Die scheinbar willkürlich geformten Stutzen bohrten sich passg e nau in die dafür vorhergesehenen Öffnungen, jeweils links und rechts unterhalb des stabilen Tran s portgerüstes.
Mit kreischender Empörung blockierten die rastlosen Räder, die unzähligen schw e ren Haltebolzen am Schiffsrumpf wurden durch einen raffinie r ten Mechanismus gleichzeitig entriegelt, und die Gyntiver wurde aus ihrer rostigen Umklammerung befreit.
Wie ein erwachender Phönix, begleitet von dem feurigen Funke n regen des Räderwerks, erhob sich der Weltensegler aus dem stä h lernen Schlitten, trotzte für einen schwerelosen Moment den Na-turgesetzen, um dann mit dem Bug voraus durch die hölze r nen Bohlen der weitläufigen Hafenanlage zu schlagen und gefäh r lich tief in die aufgewühlte See einzutauchen.
Das Meer tobte, als der massige Schiffskörper schlagartig imme n se Wassermengen verdrängte und sich daraufhin eine konzentr i sche Flutwelle auftürmte, die sich rasend schnell im Hafen au s breitete, um alles in ihrem direkten Wirkungskreis zu verschli n gen.
Wie trockener Reisig zerbrachen die stabilen Stege unter der unbändigen Kraft der gierigen Woge und jedes noch so fest ve r täute Schiff wurde von ihr in die Tiefe gerissen.
„Das ist unser Ende!“, klagte Marcus eingeschüchtert und kla m merte sich vertrauensvoll an das knirschende
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