An den Rändern der Zeit, Teil 2 (German Edition)
– und sie verschwendeten keinen Gedanken an die Vergangenheit, weil sie für sie ebenso wenig existierte wie die früher mannigfaltigen Formen von Existenzangst. Alles, was vor über einem Jahr geschehen war, war für sie wie eine Art Freundliches Schwarzes Loch .
Der junge Auftragskiller warf sich auf sein modisches Rundbett und legte einen Arm über sein Gesicht. Aber warum erinnerte er sich so deutlich an die Vergangenheit?
Abschnitt F
Chandra blickte seine Herrin besorgt an. Er war ein schlanker junger Mann, entfernt indisch aussehend, so wie auch sein Großvater Dymekon einem Inder geähnelt hatte, ohne einer zu sein. Nussbraune Augen hatte Chandra und eine Bräune der Haut, die nicht von Sonne oder Solarium herrührte.
B.C. erwiderte Chandras Blick nicht, denn sie stand mit dem Rücken zu ihm an einem der großen Panoramafenster, die Stirn gegen die Scheibe gepresst. Nur sehr vage, weit entfernt, spürte sie seine Besorgnis. Einer der Gründe, weshalb sie ihn erwählt hatte, bestand genau darin: Sie schätzte es, dass sie die Gefühle Chandras nicht exakt lesen konnte. Ein Erbteil seines Großvaters, vermutlich. Sie hatte damals darauf gehofft, dass es so sein würde, und siehe da. Seine Emotionen nahm sie meist nur als ein sanftes, zu vernachlässigendes Hintergrundrauschen wahr.
Er wartete, dass sie sich zu ihm herumdrehen würde, wartete sanft und würdevoll in seinem weißfließenden Gewand, doch allmählich wurde ihm klar, dass seine Herrin in einem bedenklichen Zustand war. Und er ahnte auch weshalb.
B.C. sah hinab auf den Großen Platz. Hätte der Obelisk ordentlich aufgereihte Stockwerke gehabt, so hätte man sagen können, sie befände sich im 133. Stock – seine kunstvoll verschachtelte Architektur jedoch machte es schwierig, die Stockwerke zu zählen. Man fiel immer wieder optischen Täuschungen zum Opfer. Dieser Teil des Obelisken war niemandem zugänglich – nur ihr und Chandra. Sie kniff ihre allzu leistungsfähigen Augen zusammen. Aus dieser Höhe hätte sie die Menschen auf dem Platz eigentlich nur noch ameisengleich wahrnehmen dürfen, doch für sie war es anders. – Sie sah ein Paar auf einer der Bänke; der kupferhaarige junge Mann erhob sich gerade und beugte sich kurz über die Hand seiner Begleiterin … Diese trug ein schwarzweißes Zickzackkleid … Beide Menschen kamen ihr bekannt vor. B.C. zuckte zurück und wollte nichts mehr sehen. Für einen Moment hatte sie geglaubt, eine empathische Botschaft zu empfangen … irgendetwas aufzuschnappen, aber … Nein. Hier oben war das so gut wie ausgeschlossen. Vielleicht ein Nachklang der letzten Nacht.
„Sie sollten ruhen, Generalin“, sagte Chandras sanfte Stimme n ihrem Rücken. Sie hatte sich gerade zwingen wollen, noch einmal durch das Panoramafenster zu blicken, doch nun drehte sie sich um und sah ihren unentbehrlichen Helfer an. Selbstverständlich trug sie ihre Sonnenbrille.
„Und Sie sollten Ihre Kleidung wechseln“, setzte Chandra kritisch hinzu.
B.C. blickte an sich herunter. Ihre Hosenbeine waren in der Tat verschmutzt und unten sogar aufgerissen. Sie hatte gar nicht bemerkt, dass sie so schlimm aussah. Mit zerstreuten Bewegungen zog sie ihren schäbigen schwarzen Umhang enger um sich und wollte auf Chani zugehen … doch ein plötzliches Schwächegefühl ließ sie taumeln, und sie wäre gestürzt, wenn er sie nicht aufgefangen hätte. Als er ihre Schultern umfasste, stöhnte sie dumpf auf, und er runzelte die Stirn.
„Sie sind also doch wieder da unten gewesen!“, rief er aus. „Und diesmal wurden Sie sogar verletzt …!“
Eine Mischung aus Sorge und Vorwurf schwang in seiner Stimme mit, und B.C.s Lippen verzogen sich zu einem schwachen Lächeln. Behutsam löste er nun den Umhang von ihrem Körper, was nicht leicht war, denn an einer Stelle war er mit Blut verkrustet und klebte an ihr fest. Tadelnd schnalzte Chandra mit der Zunge; sein freundliches braunes Gesicht mit dem roten Kastenzeichen auf der Stirn war dicht vor dem ihren.
Dann zauberte er ein mit Kräuterextrakt getränktes Tuch hervor und bemühte sich um B.C.s Wunde, die zwar nicht tief, aber dafür hässlich gezackt war. Er musste seine Herrin zum Sofa führen und ihr beim Umkleiden helfen. Über ihr Schweigen wunderte er sich nicht; daran war er gewöhnt.
„Sieht wie eine Bisswunde aus“, meinte er, als er den Riss in ihrer Schulter mit einem Sprühverband versah, und da endlich rührte sie sich und murmelte: „Alligator.“
„Also
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