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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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verkeilt war, waren von den Gewalten gebrochen und durcheinandergefegt worden.
    «Gehen Sie an Deck der Jolle.» Vesterbrock deutete auf eines der Beiboote, das bereits an den Kränen vor dem Schanzkleid schwebte. «Ein Fischkutter hat uns gesichtet; er hat uns signalisiert, dass er so viele aufnehmen wird, wie er kann. Er wartet eine viertel Seemeile voraus.»
    «Und wo in dieser riesigen Ansammlung von sumpfigen Flussinseln und Wasserläufen wird er uns abladen?», platzte Frau Wellhorn dazwischen. Sie hing am Arm Pastor Jensens, der beruhigend ihre Hand tätschelte. War Reinmar wie ein Fels in der Brandung erschienen, so machte der lächelnde Pastor den Eindruck, als sei seine von der Gischt nasse Pfeife das größte Unbill. Auf einer solchen Delta-Insel war Robinson Crusoe gestrandet. Aber das war ja nur ein Abenteuerroman. In Wahrheit würde der Kutter sie doch in einen richtigen Hafen bringen?
    «Reinmar.» Janna krampfte die Finger in sein offenes Hemd. «Ohne Sie gehe ich nicht.»
    «Liebste, Janna», er strich ihr über die Wange. «Was wäre ich für ein Mann, der im ersten Boot flüchtet? Ich komme mit einer der Pinassen nach. Und ich muss erst Pizarro befreien. Retten kann ich ihn nicht, aber …» Er schluckte. Ja, das verstand sie. Und sie wollte es ihm nicht noch schwerer machen, indem sie sich zierte.
    Sie reckte sich; er umschloss ihre Schultern und küsste sie auf die Stirn. «Wir sehen uns bald wieder», raunte er ihr so leise ins Ohr, dass sie es im Rauschen des Windes kaum hörte. Die nächsten Schritte nahm sie wie in einem betäubenden Traum wahr: sich von kräftigen Matrosenhänden auf das Fallreep führen lassen, dann über die Bordwand der schwebenden Jolle. Sich einen Platz auf einem der Sitzbretter suchen, den Koffer zwischen die Knie klemmen und die Hand Frau Wellhorns ergreifen. Auch der Pastor hatte Platz gefunden, dazu zwei bei dem Aufprall verletzte Seemänner. Der Schrei, der ihr entfloh, als das kleine Boot abgefiert wurde und auf den Wellen aufkam, hallte ihr in den eigenen Ohren. Sechs Matrosen hockten sich an die Riemen und ruderten es fort von den havarierten Schiffen, über denen kreischende Möwen im Wind tollten.
    Der Sturm kehrte zurück. Mit ihm ein warmer Tropenregen, der alle bis auf die Haut durchnässte. Plötzlich schien der Tag wieder zur Nacht zu werden. Janna weinte, und Frau Wellhorn und Pastor Jensen stimmten Eine feste Burg ist unser Gott an. In einem Winkel ihres Verstandes, der noch nicht von Angst überflutet war, bewunderte Janna ihre Anstandsdame, im Angesicht des Todes so viel Rückgrat zu zeigen. Es war ihr letzter klarer Gedanke. Wellen schwappten über ihre Knie, und eine Wand aus Regen machte sie blind. Das musste nun doch das Ende sein.
    ***
    Das Auf und Ab wollte nicht aufhören. Janna reckte die Hände nach dem Licht. Die Welle hob sie, doch ihr Kopf geriet nicht außer Wasser. Ihre Lungen brannten, gierten nach Luft. Vergebens strampelte sie mit den Füßen, denn ihre Kleider machten sie schwer, wollten sie wieder in die undurchdringliche Schwärze hinabziehen. Auf und ab, auf und ab … Janna riss den Mund auf, wollte atmen – und schmeckte schleimigen Sand.
    Sie zwang die schweren Lider auseinander. Grelles Licht blendete sie. Wasser umspülte ihren Mund. Sie wollte trinken, doch es war salzig. Zwischen den Strähnen ihres gelösten Haares sah sie eine hellbraune Fläche. Allmählich begriff sie, dass sie bäuchlings darauflag. Vorsichtig bewegte sie die steifen Finger. Dieser endlose Sand, über den eine dünne Schicht Wasser floss, war die Wirklichkeit … Ihr Verstand begann zu arbeiten, obwohl sie sich der Frage, was geschehen war, noch nicht stellen wollte. Da war der Orkan gewesen. Die Havarie. Die Flucht in der Jolle. Ihr Entsetzen. Das alles war noch ein Dröhnen in den Ohren, von dem sie nur langsam begriff, dass es in Wahrheit einer Ruhe gewichen war, in der es nur diese leise, platschende Dünung gab und das Rauschen eines besänftigten Meeres und des Windes, der durch Blattwerk fuhr.
    «Reinmar», wisperte sie. Hatte er überlebt? Dass er tot sein könnte, war zu gewaltig, um es ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Sie war doch Janna. Die jüngere Tochter von Hinrich Sievers, Sohn eines Hamburger Senators, Hanseat vom Scheitel bis zu den Zehen, reicher Kaufmann und Mitglied der Loge Zu den drei Rosen . Es tat gut, sich diese Gewissheiten vor Augen zu führen. Denn sie, Johanna Sievers, neunzehn Jahre jung, die Verlobte von Reinmar

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