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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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würde auch so gehen. Sie beugte sich tief über die Bordwand, spritzte sich Flusswasser ins Gesicht und versuchte die Brocken zu lösen. Plötzlich schwankte das Boot unter schweren Schritten. Der Mann hob sie auf die Arme. Bevor sie nach ihm schlagen konnte, hatte er sie in den Fluss geworfen. Prustend und strampelnd versuchte sie den Kopf über Wasser zu behalten, während die Piroge ungerührt Fahrt machte. Das Seil, das sich noch immer an ihrem Fuß befand, spannte sich. Sie schlug um sich, während sie durch gelblich-trübes Wasser gezogen wurde. Ihr wurde schwarz vor Augen. Der Kerl wollte sie ersäufen! Doch mit einem Mal prallte sie gegen das Boot. Wasser ausspuckend, hing sie an der Bordwand. Sie japste und blinzelte. Ihr Blick fiel auf die abblätternde Malerei am Bug.
    Das schwarze Boot mit der roten Schlange.
    Gott steh mir bei. Der Kannibale .
    Er zerrte sie wieder hinein. Janna duckte sich noch tiefer auf die Bank am Bug. Halbwegs sauber war sie jetzt – trotzdem hätte sie diesem Kerl für die rüde Bestrafung, nur weil sie das Boot geneigt hatte, am liebsten die Augen ausgekratzt. Trotz des Fahrtwinds fror sie nicht. Als Kind war sie in einen Tümpel in den Elbmarschen beim Schlittschuhlaufen eingebrochen. Liebend gern würde sie jetzt noch einmal erleben, wie beißende Kälte in ihre Glieder fuhr, statt hier in einer wunderbar erfrischenden Brise zu sitzen, nur wenige Schritte von einem Halunken entfernt. Dass sie in seiner Blickrichtung saß, machte es nicht besser. Wer war er, wohin wollte er, und was wollte er von ihr ?
    «Was haben Sie mit mir vor? Wollen Sie mich fressen?»
    Auf seiner Stirn erschien eine grüblerische Falte. In ihrer Verwirrung hatte sie Deutsch gesprochen. «Me … me llamo Janna Sievers», versuchte sie es mit Contenance, legte eine Hand auf ihre Brust und wies dann auf ihn. «¿Cómo se llama usted?»
    Er starrte nur. Janna sah an sich hinunter – die nassen Stoffschichten schmiegten sich an ihren Körper. Sie presste die Schenkel fest zusammen, ebenso die Füße, die wie ein Wunder noch in den Pantoffeln steckten, rückte den kleinen Spenzer zurecht und verschränkte die Arme. Leider war der Mast zu schmal und das Segel zu hoch, um sich dahinter verstecken zu können.
    «Soy alemana. ¿De dónde viene?»
    Entweder taugte ihr Privatlehrer nichts, mit dem sie die letzten zwei Jahre bis zum Steinerweichen die Sprache gepaukt hatte, oder er wollte nicht verraten, wie er hieß und woher er kam. Zu komplizierteren Sätzen fühlte sie sich noch nicht fähig.
    Sie rief sich ins Gedächtnis, was sie über die Bevölkerung Venezuelas wusste: Es gab die kleine weiße Oberschicht, schwarze Sklaven, schwarze Freie, Indios. Dass er hier im Delta in dieser Nussschale herumschipperte, wies auf einen Indio hin. Doch dazu erschien er ihr zu kräftig und vor allem viel zu groß; und seine Haut, wenngleich tief gebräunt, wies nicht den rötlichen Teint auf, den man den Eingeborenen nachsagte. Ein indigofarbener Schimmer in seinem Haar indes verriet, dass er indianisches Blut in den Adern hatte.
    Nein, er gehörte ganz eindeutig den Pardos an, den bunten Rindern . Ein Mischling.
    Im Gegensatz zu ihr schützte ihn ein flaches Dach aus Bananenblättern. An den Bordwänden waren Säcke festgemacht. Ein kleines Fass, eine Pfanne, mehrere Netze. Ordentlich waren das Tauwerk und der Bootshaken verstaut. In der mittleren Sitzbank steckte eine Axt. Lediglich seine Fundstücke waren unordentlich auf den Bootsplanken verteilt. Hatte er mit dieser Axt Menschen getötet und in der Pfanne gebraten? Nichts wies darauf hin, doch unter dem Deck gab es einen flachen, mit einer Luke verschlossenen Laderaum. In Gedanken sah sie, sowie man die Falltür anhob, Berge abgenagter menschlicher Knochen herausquellen.
    Himmel, was war denn das ?
    Auf einem der Säcke hockte ein Drache. Ein richtiger Drache! Mit grünschillernden Schuppen, einem Kamm mit langen Zacken, schwarzgeringeltem Schwanz und Klauen. Nur die Flügel fehlten. Ob er Rauch spucken konnte? Sei nicht dumm , ermahnte sie sich. Das war eine Echse, und hoffentlich ungefährlich.
    Eine Braue spöttisch erhoben, bewegte der Mann zwei Finger. Der kleine Drache kletterte von dem Sack herunter und tapste auf ihn zu; behäbig schwang sein Körper hin und her. Als der Mann aus einer Hosentasche eine dicke Samenkapsel holte, hob sich das Tier auf die Hinterbeine und forderte, ein Vorderfüßchen auf das Menschenknie gestützt, mit dem anderen pfötelnd den

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