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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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Leckerbissen ein.
    Der Fremde warf eine zweite Kapsel in Jannas Schoß. Sofort machte die Echse kehrt und watschelte auf sie zu. Als das Tier Anstalten machte, an ihr hochzuspringen, schob sie es mit dem Fuß beiseite. Allerdings behutsam – wer mochte wissen, wie der Mann reagieren würde, wenn sie grob zu seinem merkwürdigen Freund war?
    «¿Cómo se llama el animal?»
    «Pizarro.»
    Janna wusste nicht, was sie erstaunlicher finden sollte: dass das Tier genauso hieß wie Reinmars Lieblingspferd oder dass der Kerl den Mund aufgetan hatte.
    «¿Cómo se llama usted?», versuchte sie noch einmal seinen Namen zu erfahren. Doch jetzt schwieg er wieder stur. Sie beschloss, ihn bei sich den Drachenherrn zu nennen.
    Irgendwie musste sie ihm begreifbar machen, dass sie kein Treibgut war, das er einfach auflesen und mit sich nehmen konnte. Sie musste so bald wie möglich ins nächste Dorf oder besser den nächsten Hafen! Die Ungewissheit, was mit den Menschen von der Seuten Deern war, machte sie ganz kribbelig. Vorsichtig streckte sie sich an der Echse vorbei nach ihrem Koffer. Ihre tastenden Finger fanden die Lederrolle, das Weihnachtsgeschenk, das sie Reinmar nicht mehr hatte geben können. Sie zog die Zeichnung heraus und entrollte sie vorsichtig.
    «Esto es Reinmar Götz.» Sie hob sie hoch. «Mi novio …»
    Sie hatte durchaus mehr sagen wollen, als dass Reinmar ihr Verlobter war. Doch sie bekam es mit der Angst zu tun, als der Drachenherr aufstand und zu ihr kam. Er bewegte sich schnell und zugleich sicher; das Boot schwankte nicht einmal, als er sich unter dem Segelbaum hinwegduckte. Er nahm ihr die Zeichnung aus der Hand.
    Seine Mundwinkel zuckten. Was rief seinen Spott hervor? Doch nicht etwa ihre Zeichenkünste? Die fand sie durchaus bemerkenswert. Er gab das Blatt zurück, das jetzt natürlich Schmutz von seinen Fingern aufwies.
    «¿Disculpe, hay un puerto aquí?»
    «No.» Er kehrte an die festgeklemmte Ruderpinne zurück. Kein Hafen weit und breit.
    «¿Un pueblo?»
    Er nickte sparsam. Ein Dorf gab es immerhin. Sie hoffte nur, es war nicht bevölkert von Leuten von seinem Schlag. Er fuhr fort, sie so ungeniert anzustarren, wie es nicht einmal einer empörten Frau Wellhorn eingefallen wäre. Gierig wirkte diese Musterung nicht – aber wer wusste schon, was im Kopf dieses Mannes vorging? Es gelang ihr, sich auf der Sitzbank zu drehen, ohne mehr als die Knöchel zu entblößen und das Boot zum Schwanken zu bringen. Sollte er ihren Rücken anstarren!
    Der atemberaubende Ausblick ließ sie ihre missliche Lage vergessen. Die Piroge glitt über eine kräuselnde Wasserfläche, auf der sich das tiefe Blau des Himmels spiegelte. Die Natur hatte grüne Pflanzenteppiche darauf geflochten. Die darauf nistenden Vögel flatterten hoch wie buntes Feuerwerk und stießen trillernde Laute aus. Auf einer Sandbank lagerten Hunderte von Flamingos. Sie störten sich nicht an dem Boot, das dicht an ihnen vorüberkam. Auch nicht an dem rundlichen grauen Leib, der in ihrer Nähe das Wasser teilte. Was war das? Ein Delfin? Eine Seekuh? Oder Schlimmeres? Janna hatte von Krokodilen gelesen, die man auch Alligatoren nannte; sie konnten stundenlang mit geöffnetem Maul verharren, um Schmetterlinge zu fangen, oder schnell wie der Blitz sein, um Menschen zu reißen. Doch viele der Vögel hatten sorglos die langen Hälse auf ihre Rücken gelegt und die Köpfe in ihren wunderschönen Gefiedern vergraben. Manche schnäbelten miteinander; andere trugen einen Wettstreit aus, wer den Hals länger machen konnte. Das vielstimmige Geschnatter klang kaum anders als das der Hamburger Kaufmannsdamen auf einer Soiree. Und mit einem Mal stoben sie alle auf und flogen fort. Janna duckte sich. Was blieb, war ein weißer Fleck auf dem Ärmel ihres Spenzers.
    Sie hasste es, das Jäckchen ablegen zu müssen. So klein es war, bot es ein wenig Schutz vor diesem stechenden Blick in ihrem Rücken. Peinlich genau achtete sie darauf, sich über den Bug zu recken, damit das Boot im Gleichgewicht blieb. Nicht dass er wieder zornig herangestapft kam …
    «Lass die Finger aus dem Wasser, Mädchen.»
    Janna fuhr herum. Er hatte gesprochen – und auch noch Deutsch!
    «Piranhas.»
    «Bitte?» Fassungslos kauerte sie sich auf der Sitzbank zusammen. «Eben hatten Sie mich ins Wasser geworfen!»
    «Dort waren keine.»
    Ihr schwindelte vor Entsetzen. So genau hatte er das wissen können? «Wieso sprechen Sie meine Sprache? Warum sagen Sie das erst jetzt? Und was fällt

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