An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
geht dich nichts an.
Ich ahnte, dass Sie das sagen würden. Trotzdem: Was werden Sie sich dafür kaufen? Ein richtiges Schiff? Eine Hazienda? Ein anständiges Leben?
Was sie dazu brachte, immer wieder zu sticheln, wusste sie nicht. Anscheinend hatten die ständige Gefahr und die Anstrengungen ihre Furcht vor ihm abgeschliffen.
Wenn sich jedoch dieser finstere, geradezu kalte Ausdruck auf sein Gesicht legte, so wie jetzt, wurde ihr wieder angst und bange.
«Mädchen, komm herauf.»
Jetzt, im Regen? Sie verstaute das Buch und machte einen langen Schritt auf die Plattform. Arturo winkte sie zu sich.
«Setz dich. Dieser Mann weiß, wo die Vinzenz-Mission ist. Alles, was ich von ihm haben will, ist ein Kreuz auf dieser Karte. Aber von dem, was ich ihm dafür zum Tausch anbiete, gefällt ihm nichts. Keins meiner Messer, keine Jagdbeute, nichts. Er will dich.»
Wie von selbst sackte sie neben ihm auf ihr Gesäß. Sie starrte in das faltenlose Gesicht des Mannes jenseits der Karte. Ein dicker Tierzahn steckte quer in seinem Kinn. Auf seinem kahlen Hinterkopf prangte ein ausgestopfter Specht. Er entblößte kräftige Zähne zu einem harmlos wirkenden Lächeln.
Seine nackte Haut war mit schwarzen Tätowierungen verunstaltet, wie auch die der anderen zwanzig Männer, die dem Handel beiwohnten. Alle zeigten ihr Indianerlächeln, das Janna nicht zu deuten wusste. «Was – was haben Sie geantwortet?», stotterte sie verwirrt.
«Ich überlege noch.»
«Bitte? Sie erwägen das tatsächlich?»
Sie zwang sich, ruhig zu atmen. Zum Donnerwetter, hätte er ihr diesen Vorschlag vor einigen Wochen gemacht, so hätte sie ihm zugeredet! Aber hier, so tief in diesem fremden Land, das mit jedem Tag wilder und verlassener wurde, fände sie nie mehr nach Angostura zurück. Falls diese Leute ihr überhaupt je die Gelegenheit geben würden, wegzulaufen.
«Was will er überhaupt mit mir?»
«Das kannst du dir nicht denken?»
«Nein!»
«Du willst also nicht zu ihm?»
«Sind Sie von Sinnen? Sie haben mir versprochen, mich nach Angostura zu bringen. Mit einem Teil des Goldes, das Sie so besessen suchen!»
«Habe ich das? Ich wüsste nicht. Du , Mädchen, hast mir versprochen, mich danach zu vergessen.»
Das – das war doch Wortklauberei! «Na und? Glauben Sie etwa, ich würde mich daran gebunden fühlen, wenn Sie das Ihre nicht einlösen? Natürlich, Sie wissen ganz genau, dass ich auf ewig verschollen bliebe. Warum haben Sie mich nicht schon längst ertränkt, Sie Schuft?»
Bisher war er recht ruhig geblieben. Jetzt jedoch brodelte es in ihm. «Denk nicht, ich hätte darüber noch nicht nachgedacht.»
Ihre Hand war schneller als ihre Gedanken. Nicht schnell genug für ihn. Er fing ihr Handgelenk dicht vor seinem Gesicht ab. Ringsum schlugen sich die Männer vor Vergnügen auf die Schenkel. Nur der Mann mit dem Specht auf dem Haupt schüttelte empört die manierlich geschnittenen Haare. Arturo sprang auf und stieß Janna zum Rand der Plattform. Fast wäre sie auf dem glitschigen Holz ausgerutscht. Sollte er sie halt ins Wasser werfen; als ob ihr das noch etwas ausmachen würde! Sie kletterte zurück ins Boot. Arturo sprang hinein, riss ihren Koffer auf und warf drei Bücher und einen Stapel Zeichnungen über Bord.
«Um Himmels willen, was tun Sie da? Lassen Sie das!»
Janna fiel ihm in den Arm und erkämpfte sich den Koffer zurück. Dabei geriet die Piroge so heftig ins Schaukeln, dass die losen Gegenstände herumkullerten und Pizarro nervös hin und her huschte.
«Fassen Sie nie wieder meine Sachen an!», schrie sie unter Tränen, am ganzen Leib zitternd. Arturo kehrte ins Palafito zurück und setzte sich an seinen Platz.
Die Verhandlungen gingen weiter. Janna erging sich in Mordphantasien und Selbstmitleid, während sie ihren davonschwimmenden Kostbarkeiten hinterherblickte. Die dicken Regentropfen ließen die Blätter spöttisch tanzen. Schließlich kam er mit seiner zusammengefalteten Karte die Leiter hinab, löste das Seil und legte ab. Scheinbar ungerührt hantierte er wie gewohnt mit Pinne und Schot.
«Warum haben Sie das getan?», schluchzte sie.
«Er wollte sich nicht von der Idee abbringen lassen, dich mir abzuschwatzen», erwiderte er ruhig. «Ich habe stundenlang vergeblich dagegen angeredet. Also musste ich ihm zeigen, was er sich einhandelt. Es hat geholfen. Ich habe mein Kreuz.»
Seit Tagen war der Orinoco so breit, dass Janna sich nicht vorstellen konnte, wie er aussähe, wäre er zu voller Größe
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