An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
angeschwollen. Das Kreuz zeigte Arturo, dass er irgendwann auf die andere Flussseite wechseln musste. Stunde um Stunde beobachtete er den Himmel.
«Abendrot mokt Wedder got.»
«Was?»
«Sagte meine Oma. Ist es am Abend rot, ist anderntags gutes Wetter.» Und ich hab es nur gesagt, weil mir das Schweigen auf die Brust drückt . Doch wie so häufig ließ er sich auf ihre Versuche einer Konversation nicht ein.
Der Regen ließ nach, kehrte zurück und wuchs sich zu einem Unwetter aus. Sie übernachteten auf der gewohnten Nordseite. Wie üblich nach Regennächten wurden sie auch den folgenden Tag, obschon wieder die Sonne brannte, nicht richtig trocken; zu feucht war die Luft.
Erst nach drei weiteren Tagen fuhr Arturo einen schrägen Kurs, der die Maria Lionza weit hinausbrachte.
Hinter dem Wald erhoben sich die hügeligen Ausläufer des südlichen Hochlandes. Auf den abgeflachten Granitfelsen reckten sich Bäume in den Himmel. Wasserfälle stürzten herab, eingehüllt in dunstige Luft; sie wirkten aus der Ferne wie feine Pinselstriche auf einem Gemälde. Auf der anderen Seite ließen Wolken ihre Regenvorhänge auf das Land fallen.
Wind kam auf und blähte das Gaffelsegel. Auf der eben noch glatten Wasserfläche wirbelte weiße Gischt. Arturo blickte zurück – überlegte er, zu wenden? Er wirkte besorgt. Das südliche Ufer war weit. Das nördliche ebenso.
Der Sturm schien wie aus einer anderen Welt zu fallen. Der Himmel wurde zu einer Masse grauer, wabernder Wolken. Blitze leuchteten. Gegen Jannas Gesicht peitschte der Regen, sodass ihre Haut wie Feuer schmerzte. Hohe Wellen schlugen gegen das Boot. Es bäumte sich auf wie ein störrisches Pferd, schoss herum und kippte. Über das Getöse hinweg brüllte Arturo einen Befehl. Janna verstand ihn nicht, doch sie wusste auch so, was er wollte. Gemeinsam mit ihm warf sie sich auf die andere Seite. Eine endlose Zeit verging, bis das Boot gehorchte. Langsam richtete es sich wieder auf.
Ein zweites Mal gelang dieser Kraftakt nicht.
Janna fand sich in dunklem, trübem Wasser wieder. Wie es geschehen war, wusste sie nicht. Der Mast hatte sich mit unheilvollem Knarren geneigt. Die Planken um seinen Fuß waren aufgebrochen; das hatte sie noch gesehen. Wild schlug sie um sich, versuchte irgendetwas zu ergreifen. Da war nichts. Doch, ein Zipfel des Segels, das auf den Wellen hin und her tanzte. Es entglitt ihren Fingern. Gurgelnd schrie sie; Wasser drang in ihren Mund. Sie schaffte es einmal, zweimal, es auszuspucken. Dann schwappte es über ihr zusammen. Das hatte sie schon einmal erlebt, und das Grauen griff nach ihr, weil alles so vertraut war.
Warum? Warum das alles? Um hier zu enden? Sie war müde. Es war genug. Das Wasser erdrückte ihren Zorn, und was blieb, war nur Traurigkeit, dass sie Reinmar nun enttäuschen musste. Sie würde nicht zu ihm zurückkehren.
Es tut mir leid …
Eine Hand krallte sich in ihr Haar und zerrte sie an die Oberfläche. Regentropfen zerplatzten auf ihrem Gesicht, drangen in ihren gierig aufgerissenen Mund.
«Atmen, Mädchen, atmen!»
Sein Kopf war dicht vor ihrem. In Bächen floss das Wasser aus seinem Haar. Der Schreck stand in seinen Augen und nahm ihm die Unnahbarkeit. Sie warf die Arme um seine Schultern.
«Atmen, hörst du?»
Sie schaffte es. Einmal, und er nickte dazu. Zweimal. Tief sog sie die kostbare nasse Luft ein. Unter sich spürte sie seine kräftig atmende Brust.
Der Sturm verebbte so schnell, wie er gekommen war. Nur der Regen blieb und platschte auf das braune Wasser. Ein gleichförmiges Rauschen war um sie herum. Wo war das Boot? Janna sah es nicht mehr. In allen Richtungen war nur eine endlose Fläche; die Ufer blieben in nebligem Dunst verborgen. Erschrocken lockerte sie ihren Griff.
«Halt dich an mir fest.» Seine Stimme war sicher. Beruhigend. Es gelang ihr, das Entsetzen zurückzudrängen. Ein wenig zumindest. Und sie fragte sich zugleich, wie das sein konnte, hier in der Hölle.
«Kannst du schwimmen, Mädchen?»
Ihr schlugen die Zähne aufeinander. Das Wasser war ungewohnt kühl. Vielleicht war es auch nur die Angst, die einen Kälteschauer durch ihren Körper jagte. «Ja … aber … aber nicht so gut. Bis zum Ufer schaffe ich es niemals.»
Er gab ihr mit den Armen Halt. «Dann schau, ob du mit den Füßen einen Ast findest.»
Vorsichtig strampelte sie. «Da ist nichts.»
«Ich stehe auf verrottetem Holz und habe einen Ast im Rücken. Das Ganze ist allerdings ziemlich glitschig.»
«Ich bin so
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