An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)
auf seinem Arm. «Darf ich Ihnen vorschlagen, diese Tunika anzulegen und Ihr Kleid einer der Frauen zum Waschen und Ausbessern zu geben?»
«Gern, vielen Dank.» Sie nahm den aus kastanienbrauner Pflanzenfaser gefertigten Stoff entgegen. Mochte es auch eine Kutte sein – sie freute sich, etwas Sauberes auf den Leib zu bekommen. Der Mönch zauberte noch ein Paar dünne Lederschuhe aus dem Ärmel seines Habits hervor.
«Darf ich mir das ansehen?» Er deutete auf den Schnitt auf ihrem Arm, den sie sich im Maisfeld zugezogen hatte. «Das wurde recht gut vernäht.»
«Der Mann, der bei mir war, hat das gemacht. Arturo heißt er. Wo ist er?»
Sie schluckte. Bis zu diesem Moment hatte sie nicht an ihn gedacht. Hatte er überhaupt überlebt?
«Ich denke, er schläft noch in der Hütte, in die man ihn gebracht hat. Er war sehr erschöpft. Möchten Sie etwas zu essen? Oder bis zur Abendmahlzeit warten? Sie können sich auch gerne in Ihre Hütte zurückziehen; niemand wird Sie stören. Morgen ist übrigens Sonntag. Wir würden uns freuen, Sie beim Gottesdienst begrüßen zu dürfen.»
Sie bedankte sich. Zurück in ihrer Hütte, zog sie sich aus. Das Empirekleid war ruiniert, das Unterkleid nur noch ein Fetzen. Sie streifte auch das Kurzmieder ab und schlüpfte in die Tunika. Das ungewohnte Kleidungsstück schlackerte um die Schultern. Die Schuhe passten immerhin. Dann eilte sie wieder hinaus. Es war angenehm, nicht mehr gar so sehr aufzufallen.
Die Frauen hockten an Webrahmen, entweder auf den Fersen oder auf Schildkrötenpanzern. Oder sie krümmten die Rücken über flachen Steinen, auf denen sie Mais mahlten. Andere fütterten Hühner und Schweine in kleinen Gattern. Ein paar hatten sich um eine Herdstelle versammelt, wo in einem Kessel irgendetwas brodelte. Sie zerpflückten dicke rote Schoten und warfen sie hinein. Ein scharfer, doch interessanter Duft kitzelte in Jannas Nase. Das Glockengeläut, das die Kinder zum Essen gerufen hatte, schien die Erwachsenen nicht zu interessieren. Verblüfft sah sie einen Indio aus der Kirche kommen, der eine Ziege hinter sich herzog. Was hatte er mit dem Tier dort gewollt? Die meisten Männer und auch Frauen trugen nach Indianerart die Hinterköpfe kahl. Da erschien es nicht weiter verwunderlich, dass ein alter Indio einem Mönch die Tonsur glattschor. Manche dieser Leute trugen Lederschnüre mit kleinen Kreuzanhängern. Manche heidnische Amulette. Es war eine bunte Mischung farbenfroher Tücher, roter Kreise und Kringel auf nackten Gliedern und weißglänzender Knochen in Nasen und Ohren. Ein Gemisch aus Indianisch und Spanisch schwirrte durch die Luft, untermalt vom Hämmern und Sägen einer Werkstatt, dem Gezeter der Ziegen und dem Gekreisch der Papageien. Diese Mission hatte nichts gemein mit jener im Delta oder all den schäbigen oder gar verlassenen, die Janna auf ihrer Reise von fern gesehen hatte. Sie war viel größer, umgeben von gepflegten Feldern, auf denen Mais, Bananen, Bohnen und Manioksträucher wuchsen. Aus Maniok machte man Brot; sie hatte es unterwegs hin und wieder gegessen. Frauen trugen von irgendwoher Körbe mit dicken farbenfrohen Früchten herbei. Ein Mann hatte Schmuck und Kämme aus Schildpatt vor sich ausgebreitet; mit Hingabe polierte er die Stücke. Ein anderer bearbeitete eine graue Masse, die man Kautschuk nannte. Wie berauscht von all diesen Eindrücken lief Janna umher, bis sie von alldem genug hatte und nur noch einen Wunsch verspürte.
Sie lief auf einen jungen Mönch zu, der soeben vom Stuhl des indianischen Barbiers aufstand und sich prüfend über die noch winzige Tonsur strich.
«Verzeihen Sie, Frater! Ich würde mich gerne waschen. Wo kann ich das?»
Errötend bedeutete er ihr, ihm zu folgen. Er führte sie auf einen Pfad, der aus dem Dorf hinausführte. «Dort hinten ist eine Quelle», erklärte er. Seinen folgenden Ausführungen entnahm sie, dass es getrennte Badetage für Frauen und Männer gab und dass der Sonntag den Ordensbrüdern vorbehalten war. Und dass sie Glück hatte: Heute war ein Frauentag.
Schon von weitem hörte sie lachende Stimmen und wildes Geplätscher. Es klang ein wenig wie das Geschnatter der Damen am Övelgönner Elbstrand, wenn sie aus dem Wasser in die Umkleidekabinen stiegen, die man herangefahren hatte, damit niemand sie in ihren nassen Badekleidern erblickte. Dass die indianischen Frauen keine Scham empfanden, hätte sie sich jedoch denken können: Wie Gott sie geschaffen hatte, tollten sie in dem
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