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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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muss das am gleichen Tisch geschrieben haben, an dem ich saß. Ist das nicht unglaublich?»
    Sein Blick war abweisend. Natürlich, sie hatte es ganz vergessen. Sein Schweigen. Diese Zurückhaltung, die er an den Tag legte, seit … seit … der Eierernte. Plötzlich stand ihr dieser Zusammenhang klar vor Augen; es hatte der Ablenkung dieser Notiz bedurft, um das zu erkennen. Er hatte gelacht. Sich gefreut. Und ertrug das nicht. Nicht ihr gegenüber.
    «Arturo …», begann sie hilflos.
    «Lies vor!»
    «Ja.» Ihr Blick huschte über das dicht und eng beschriebene Blatt. Die blasse Tinte sowie zahlreiche Flecken und durchgestrichene Stellen machten es nicht leicht. Zum Teil war die Schrift zittrig, wie von einer erschöpften Hand geschrieben. «Hier fängt es an, ich muss es übersetzen: ‹Man ersteigt mühsam und nicht ganz gefahrlos einen steilen, völlig kahlen Granitfelsenberg. Man könnte auf der glatten, stark geneigten Fläche fast unmöglich Fuß fassen, wenn nicht große Feldspatkristalle, welche nicht so leicht verwittern, hervorstünden und Anhaltspunkte böten.› Und hier steht: ‹Über einen schmalen Grat gelangten wir auf einen benachbarten Berg, auf dessen abgerundetem Gipfel ungeheure Granitblöcke lagen. Diese Massen haben vierzig bis fünfzig Fuß Durchmesser und sind vollkommen kugelförmig, dass man, da sie nur mit wenigen Punkten den Boden zu berühren schienen, meint, beim geringsten Stoße eines Erdbebens müssten sie in die Tiefe rollen.› Und dann, pass auf, hier kommt unsere Stelle: ‹Dieser Ort bot eines der merkwürdigsten Naturschauspiele, die wir am Orinoco gesehen. Über unseren Köpfen rauschte der Strom hinweg, und es brauste, wie wenn das Meer sich an Klippen bricht; aber am Eingang der Höhle konnte man trocken hinter einer breiten Wassermasse stehen, die sich im Bogen über den Steindamm stürzte.›» Noch einmal fragte sie: «Ist das nicht unglaublich?»
    «Fass dich kurz.»
    «Er beschreibt Einschlüsse von rotem Jaspis in den Granitwänden. Und Tonscherben und intakte Tongefäße, die Überreste von Grabstätten. Es ist wirklich unsere Höhle! Und er erklärt sogar den Weg dorthin. Wie es Frater José Maria gesagt hat.»
    «Hervorragend. Dann folgen wir einfach seiner Beschreibung.»
    «Aber das ist es ja …»
    Sie ging, vielmehr wankte an ihm vorbei und hockte sich auf seine Hängematte. Am liebsten hätte sie sich hingelegt und geschlafen, so ermattet fühlte sie sich. Was der große Naturforscher jetzt wohl tat? Irgendwann hatte sie im Hamburgischen Correspondenten gelesen, dass er eine neue Reise plante. Vielleicht saß er jetzt auf einem verschneiten Berg im Himalaya und kämpfte mit eisigen Winden um seine Notizbücher, oder er ritt auf einem Kamel durch die mongolische Wüste. Oder er stand in diesem Augenblick auf dem Krater eines Vulkans und blickte hinunter in ein brodelndes Lavameer.
    «Rede endlich, oder ich lege dich übers Knie.»
    Sie tat einen langen Seufzer. «Wir können seiner Beschreibung nicht folgen.»
    «Das verstehe ich nicht.»
    «Aber das ist ja das Problem! Ich verstehe es nämlich auch nicht.»
    Er riss ihr das Blatt aus der Hand und drehte es hin und her, natürlich umsonst. Der Gedanke streifte sie, dass sie die Zeit hätte nutzen können, ihm flüssiges Lesen und sogar Schreiben beizubringen. Dann wäre diese Reise zumindest nicht völlig umsonst gewesen.
    «Mädchen, erklär dich.»
    «Siehst du, für mich ist das so rätselhaft, wie es für dich der Brief des Unbekannten war. Humboldt redet von Fuß und Toisen, von Bogenminuten und Bogensekunden. Er benutzte einen Sextant mit künstlichem Horizont und einen Inklinometer. Er war mit modernsten Messgeräten ausgestattet!» Sie warf den zerzausten Kopf zurück und lachte lauthals. «Im Gegensatz zu uns. Solche Geräte in einem Indiodorf einzuhandeln dürfte etwas schwierig werden. Da müsstest du schon nach Caracas. Herrgott noch mal – wir wissen ja nicht einmal, was man damit macht und wie man es macht! Dabei schreibt er sogar noch … Hier, hier, ich lese es dir vor.» Sie nahm das Blatt wieder an sich. «‹Es war ein Dosensextant von zwei Zoll Halbmesser, dessen Gebrauch übrigens den Reisenden sehr zu empfehlen ist.› Großartig!»
    Sie ließ sich fallen und lachte, bis ihre Bauchmuskeln zu schmerzen und ihr Schädel so heftig zu pochen begann, dass sie dachte, sie müsse ohnmächtig werden.
    «Er hat das Gold geholt», hörte sie Arturos tonlose Stimme.
    «Nein», sie setzte

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