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An diesem einen Punkt der Welt - Roman

An diesem einen Punkt der Welt - Roman

Titel: An diesem einen Punkt der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brita Steinwendtner
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Puttenüppigkeit, überall Girlanden, Spruchtafeln und Gemälde, Kartuschen und Muschelwerk, kein Pilaster ohne Statue und wer war wer und Maria im Zentrum des Hochaltars, die Himmelskönigin, der die Kirche geweiht war, Maria im roten Gewand.
    Er stand unter der Kanzel aus Ebenholz und Goldverzierungen, er könnte auch oben stehen und predigen. Tom würde leise sprechen, würde über Monotheismus und Polytheismus predigen, vielleicht auch über Freiheit, die eine Illusion ist. Es war ihm alles gleich wert, wertvoll sogar, Ideen, Menschen, Bücher, das Leben. Es war ihm alles gleich gültig und gleichgültig in einem, purpurfarben jetzt, grau gleich danach, kobalt oder kupfern, bald würde es zu Grünspan werden. Nichts, das blieb.
    Viele Apostel waren Fischer.
    Über-setzen über den Fluss, über den See.
    Nach jenseits, nach drüben.
    Beyond.
    Ende der Führung. Danke und Händedruck und auf ein andermal. Tom sammelte das Trinkgeld ein. Es war kein schlechter Verdienst, zusammen mit dem Grundgehalt, den das Kloster zahlte. Seit langem wieder ein halbwegs geregeltes Einkommen.
    Wenn sich das schwere, hölzerne Kirchentor hinter dem letzten Besucher schloss, ging Tom durch eine schmale Seitentür auf der rechten Seite der Apsis in die Sakristei. Von hier aus kam man in den Kreuzgang, der ihn jedes Mal wieder irritierte. Denn dieser Gang hatte nichts offen Luftiges wie die gotischen Kreuzgänge, nichts Kontemplatives und Intimes, er war breit und üppig mit spätbarocken Wandgemälden verziert, die das Leben Marias und die bedeutendsten Marien-Wallfahrtsorte darstellten. Zum Innenhof hin war der Kreuzgang mit einer geschlossenen Mauer versehen, die nur Luken für das Licht frei ließ und dadurch etwas Bedrückendes hatte.
    Aber da stand sie.
    Einsam.
    Wegen ihr kam er, nur wegen ihr.
    Sie stand in einer Nische, allein.
    Nur ein schmaler Betschemel vor ihr.
    Maria.
    Eine andere als die Gefeierte in der Kirche und die Gloriose auf den Gemälden.
    Sie trug ein goldbraunes Gewand, das schlicht und schmucklos zu Boden fiel, ein braunes Tuch war um ihren Körper gewunden. Rechts hielt sie eine blaue, reife Traube in der Hand, auf der Seite des Herzens trug sie das Jesuskind. Es war so lieblich und unpompös wie sie. Die kleine Weltkugel, die es hielt, hatte die Farbe der Traube. Das Kind hatte noch nichts von der Forderung nach Devotion, die die Verwalter der Heilsbotschaft dem erwachsenen Christusmann zusprechen. Diese Maria und dieses Kindlein hier in der Nische eines barocken Kreuzgangs waren ein Pfeil gegen den Gott seiner Jugend, gegen fast zehn Jahre seines eigenen Lebens, in denen er Mitglied in einer religiösen Comunità gewesen war, die soziale und göttliche Liebe mit Ausschließlichkeit verlangt und gelebt hatte.
    Lange stand Tom im leeren Gang vor der Figur, leicht gerötet waren ihre Wangen. Möglich, dass er einmal kurz niederkniete und ein Gebet sprach.
    Gib ihr nicht zu viel Bedeutung, sagte er sich.
    So wichtig ist sie auch wieder nicht.
    Diese Maria war einfach so, wie er das Leben gern hatte: nebenbei und selbstverständlich. Ohne Trumpf und ohne Triumph. Ohne Erwartung. Jemand hatte sie so gemacht vor fast 700 Jahren, sie war herumgekommen und jetzt stand sie da. Einsam. Kalt und zugig hier. Kein Himmel. Macht nichts. Ein angedeutetes Lächeln um ihren kleinen Schmollmund und vielleicht – das verzieh er ihr – ein wenig Überheblichkeit. Aber sie beanspruchte nichts, sie hatte kein Dekorum, außer sich selbst.

10
    Der Sommer war schon im Abschiednehmen.
    Gelbrosé die frühen Morgenwolken, leichter Wind in den Kletterrosen, den Essigbäumen und der Birke, von der vereinzelt schon Blätter fielen. Fernes Brummen der Frühmaschine. Morgenmopeds. Lichter Nebel über dem Bach, getränkt von der Feuchtigkeit der Nacht. Die Spitzen des Böschungswaldes brannten in den ersten Sonnenstrahlen.
    Tom startete den Skoda, alt und in ausgebleichtem Rot, und fuhr Richtung Gebirge. Er wollte in das Wilderer Kar, zum Rinnert’n Stoa .
    Bis zum Aufstieg war es nur eine halbe Stunde zu fahren. Er war selten so früh unterwegs, aber das morgendliche Erwachen des Lebens entlang der Straße hatte er immer gemocht: die Menschen, die aus ihren Häusern und Garagen kommen oder an den Haltestellen warten und gähnen, Müdigkeit noch im Gesicht; die Lieferwagen der Tischler und Glaser, die schon betriebsam waren, die Milchtransporter, Gemüselieferanten und Schulbusse; die Rinder, die gleichmütig grasen ohne Hast.
    Elisa

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