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An diesem einen Punkt der Welt - Roman

An diesem einen Punkt der Welt - Roman

Titel: An diesem einen Punkt der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brita Steinwendtner
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ist ein Wort, das Tom mied wie die Pest. Wieso wie die Pest , fängt er jetzt selbst an mit dieser Schablonensprache, und nett , das nimmt er sonst nicht in den Mund, es ist das Allerweltswort für gedankenloses Plappern, für nichtige Aussagen, der nette Abend, der nette Nachbar, das nette Buch und die nette Begegnung. Das nette Gespräch.
    Tom ist kein netter Mensch.
    Langsam kam wieder Leben in die wie erstarrten Menschen. Manche blieben noch, redeten leise, schauten auf den See, dann wieder in den Himmel, an dem die Sonne hoch im Mittag stand, als ob nichts gewesen wäre.
    Elisa, Oliver und Reinhold brachen auf.
    Tom blieb noch.
    Es war ihm nach Alleinsein.
    In letzter Zeit drängten sich fremde Bilder in die Gegenwart, die Szenen kamen ungefragt, sie wanderten durch seinen Kopf und tanzten wie Noten durch sein Herz. Sie hatten eine diffuse Gestalt, er hatte die Worte dafür verloren und die Farben ihrer Bilder. Er wusste nur, dass sie mit der Frau zusammenhingen, die irgendwo diesen Berg hinunterging zwischen zwei Männern, die jünger waren als er, erfolgreicher. Jeder in seiner Art ein akzeptabler Mensch, der Realität gewachsen, die Wirklichkeit nicht suchend, die immer mehr ist als die Realität. Er hingegen sah sich als Herumtappenden, der sich ständig neu erfand und darin seine surreale Lust erlebte. Aber selbst das kam ihm seit geraumer Zeit abhanden, und er buchstabierte sich als Subtext seiner selbst. Er war im dunklen Gang der Pyramide, so schrieb er es in sein Heft mit dem braunen Umschlag.
    Was wusste er von Elisa, wenn sie fortging, an ihren Schreibtisch in der Notariatskanzlei, wenn sie die Testamentsvollstreckungsurkunden tippte oder die Verträge für Kauf und Verkauf von Immobilien, was wusste er vom Hintergrund der Neigung ihres Kopfes, woher kam diese Neigung, vom Ausweichen eines Schlags, den sie als Kind fürchtete, und war es überhaupt so, war diese Neigung, immer nach links, nicht eher nur Konzentration auf einen Gegenstand, auf den Luftballon in Hatschibratschis Kinderbuch, auf das Lackieren ihrer Fußnägel mit leuchtendem Rot oder das aufmerksame In-den-Blick-Nehmen eines Gegenübers mit ihren hellgrünen Augen, oder war diese Neigung des Kopfes nur das Gewicht ihres schönen Haars, wenn es vom Scheitel niederfiel über die Schulter, wusste er, wer sie war und wer sie sein wollte? An einem Punkt ihres Lebens waren sie sich begegnet und seither lernte er, sie zu verstehen, aber es war er , der es versuchte oder auch nicht versuchte, der den Tag und die Nacht kommen ließ, wie sie kamen, und nichts tat, um ihnen Glanz und Einmaligkeit zu geben. Und war es sein Leben, das er über ein anderes stülpte, sein Leben, das ein anderes deutete? Hatte er sie gefragt, wirklich gefragt, warum sie ihren lukrativen Job in der Reiseagentur aufgegeben hatte, war nicht das Bewegliche, Abenteuerliche in ihr geblieben, diese Erleichterung, wenn das Flugzeug abhebt und alles zurückbleibt zwischen Erde und Himmel, zwischen Betonpiste und Wolkenzug, diese eine kurze Spanne Zeit, in der man sein kann, wer immer man sein möchte, Apfelpflücker oder Tretbootfahrer, Rossebändiger oder Maskenschnitzer?
    Lass das Grübeln. Geh ihnen nach.
    Drüben, auf dem neuerlichen Aufstieg nach der Scharte, in die er erst hinunter musste, gingen die drei als kleine Figuren dem Himmel zu. Elisa war in der Mitte. Reinhold ging zuletzt. Easy going war Reinhold nicht im Vergleich zu Oliver. Hatte Zukunftsperspektiven, in drei, in fünf, in zehn Jahren … Hatte einen genauen Plan. Besprach ihn gerne mit Elisa. Sie war im Mittelpunkt der drei Männer, nicht nur der beiden dort auf dem steilen Anstieg, den sie offenbar schon überwunden hatten, Tom konnte sie nicht mehr sehen. Hofiert zu werden schien ihr gut zu tun. Wem nicht? Aber Reinhold hatte etwas Zurechtweisendes, das musste Elisa doch stören. Er wusste alles oder hatte es immer schon gewusst. Er neigte zu Neid, aber er hatte feste Prinzipien. Derzeit machte er alle verrückt mit dem Gerede über die Jahrtausendwende, weltweit werden die Computer abstürzen, prophezeite er, die Börsen werden verrückt spielen und die Wirtschaft wird zusammenbrechen. Er unterhielt sich blendend mit allen Leuten, sie glaubten, sie wären gemeint. Er redete aber eher, um seine joviale Lebensauffassung auszubreiten und sich selbst zuzuhören. Und hinter ihrem Rücken kritisierte er sie oder machte sie lächerlich. Strich an ihnen das Negative hervor. Er hatte keinen Speicher für

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