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An diesem einen Punkt der Welt - Roman

An diesem einen Punkt der Welt - Roman

Titel: An diesem einen Punkt der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brita Steinwendtner
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das so gekommen, I bin Zammdichter , hat Johannes gesagt.
    Man kann alles sagen, in Zahlen, in Wörtern, in Gedichten, in Geschichten und das sind die Bausteine zu „Alles ist Natur“. Du weißt, dass deine eigene Meinung stimmt. Jeder hat recht
    Niemand muss recht haben, es ist ja alles gut, er wird nach Hause fahren und sie umarmen und fragen wann, nein, er wird sagen: jetzt, ja, jetzt, so wie sie es damals sagte an einem griechischen Morgen, es ist ja beschämend, dass wir überhaupt darüber debattieren, und er sieht rechts der Straße die Kälber auf den Weiden, die bei ihren Müttern trinken oder unbeholfen verrenkte Luftsprünge machen, weil sie ihre Beine noch nicht richtig koordinieren können, er wird Elisa in den Arm nehmen und sagen, alles, was du willst, ist doch egal, unter welchem Namen, nein, das wird er nicht sagen, das könnte sie falsch auffassen, gestern hat sie ein Glas an die Wand geworfen, sie waren beide erstarrt, das war noch nie vorgekommen, und sie hatten sich erschrocken angeschaut und schließlich gelacht, sind in eine Polsterschlacht und dann in guten Sex geraten, nachdem sie die Scherben aufgekehrt hatten –
    So schön war es noch nie im Leben in der Zeit der Buße
    Die Schulklingel läutete zur nächsten Stunde, sie mussten wieder in die Klasse, ihre Bibliothekszeit war vorüber. Nach einem Schuljahr war auch Toms Anstellung vorüber. Johannes war zu aggressiv geworden, er sollte in ein Heim.
    Tom hatte dieses verstoßene Kind so gerne umschlungen gehalten, hatte seinen Kampf gespürt, seine Intensität, das Abenteuer und die Krisen seines Denkens. Er hatte so gerne allen Kummer mit ihm geteilt und still gelacht mit ihm, denn zeigen durfte er es nicht, da wurde Johannes wütend.
    Der liebe Gott nimmt die Natur zum Strafen, es ist wie wenn er die Natur knetet und dann mit Marillenknödeln auf die Menschen schießt
    Tom vermisste den Buben. Mit ihm war ihm ein Stück seiner selbst genommen. Er wäre gerne geblieben in der Schule in Spittelreith. „Sooft ich diese Mitschrift heute lese“, schrieb er später, „fühle ich mich beglückt.“ Er dachte daran, eine Auswahl der umfangreichen Mitschrift zu veröffentlichen. Die Eltern verboten es. Tom konnte ihnen nicht klarmachen, dass er diese außergewöhnlichen Sprachschöpfungen anderen zugänglich machen, nicht ihr Kind bloßstellen wollte. Er fuhr nach Linz, um sich bei Thomas Macho, der an der Kunstuniversität philosophische Vorlesungen hielt, die Tom begeisterten, Hilfe zu holen. Es zog sich hin. Tom suchte ein neues Treffen mit den Eltern von Johannes. Sie hatten kein Verständnis dafür, dass dieses „irre Zeug“ einen eigenen Sinn und seine besondere Schönheit haben sollte. Sie verboten endgültig die Veröffentlichung.
    Nach diesem deprimierenden Gespräch, bei dem auch der Pfarrer anwesend war, fuhr Tom noch nicht nach Hause. Er wusste, dass Elisa heute mit Oliver zu einer Party eingeladen war. Auch Tom wäre eingeladen gewesen, es war ihm jedoch nicht danach. Er fuhr die Serpentinen hinauf an den Bergsee in der Nähe von Spittelreith, stellte seinen Skoda auf dem Parkplatz ab und ging zum See. Dunkelgrün, am Nordufer fast schwarz, lag er unter der Felswand, deren Konturen als Schatten im Wasser zitterten. Es war später Nachmittag, ein Oktobertag ging zu Ende. Die Farben der Ahornbäume auf den Badewiesen waren erloschen, die Vogelbeerbäume standen kahl und abgeerntet für den Schnaps. Das Gasthaus war geschlossen. Das Salettl mit dem überdachten Tanzboden unter den Kastanien war verrammelt und innen mit den Stühlen des Sommers angefüllt. Kein Mensch weit und breit. Er setzte sich auf einen Baumstumpf am Ufer und sehnte sich. Und warum beten wir, hatte Tom Johannes einmal gefragt. Warum beten wir? Erstens: Da vergisst man aufs Weinen.
    Tom schaute auf die Felswand, die senkrecht vom jenseitigen Ufer aufstieg. Im Erdunkeln der Landschaft war sie zur schwarzen Fläche geworden.
    Da fiel ihm alles auf den Kopf.
    Die Düsternis, das ganze Leben hier.
    Er sehnte sich nach einer berglosen Weite.
    Nach goldenen Weizenfeldern und endlosen Himmeln mit weißen Wolkentürmen, nach breiten, stillen Strömen wie dem Saskatchewan, der durch das flache Land zieht auf einem anderen Kontinent, unzählige kleine, funkelnde Seen sind da, Biber bauen ihre weiträumigen Häuser, lockere Birken- und Espenwälder säumen die Ufer, ein Indianerbub reitet über Land – –
    Und er sehnte sich nach dem Meer.
    Dem Meer von Duino, Triest und

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