An diesem einen Punkt der Welt - Roman
Fažana. Er sah das Blau und die Fischerboote, die Tanker und die Flugzeuge darüber, das Licht und die Helligkeit, erinnerte den Geruch des Wassers, den Gestank und das Salz auf den Lippen bei Sturm. Er spürte die Süße der mittäglichen Macchia und die Schärfe der abendlichen rohen, in Zitrone eingelegten Sardinen, er ging durch den Park der Comunità in der altösterreichischen Villa, Violetta ist bei ihm, ein heimlicher, schneller Kuss ...
und dann ist er in Rom, beim internationalen Jugendfest der barca , er sieht sich mitten drinnen, betreut die Musikbands Mitteleuropas und leitet die eigenen von Triest, er ist in Rom, das er liebt, steht eng gedrängt auf dem Petersplatz, Tausende singen und beten, sie warten, die Kolonnaden schließen die Wartenden ein, sie schnüren ihn ein, der die Menge jetzt plötzlich von außen betrachtet, als ob er auf dem Giebel über dem Portikus neben den monumentalen Heiligenfiguren stünde und ewig herabblickte auf die Abertausenden Menschen, da sieht er sich selbst als Massenmonade, er sieht sich bei den Sit-ins und Protestmärschen als Student, sieht, wie sie uniform waren in ihrem guten Wollen, wie sie uniform sind hier unten auf dem Platz der Plätze und unisono in Sprechchören den Namen eines Papstes rufen, sieht, wie er selbst gedrillt und bevormundet wurde und wie die Zweifel in ihm hochstiegen, der Sarkasmus und die Nüchternheit, wer kann seine Verzweiflung von damals verstehen, „Jesus, ich glaube nicht an dich, was soll ich tun?“, wer die Befreiung, als er den Kongress boykottierte, mit la barca brach und flüchtend nach Ostia fuhr, an den Strand, an das Meer, in das Blau. Auf das Meer blickte für den Rest des Tages, auf das Meer und einen undefinierten, gottfreien Himmel. Es war die Zeit seiner Begeisterung gewesen, voraussetzungslos und unbedingt, wie nie wieder in all den Jahren, die kamen, in denen er analytischer Skepsis verfiel und der Erkenntnis der Absurdität allen Seins –
Ich bin ganz allein, ich bin ganz egal
– und warum trieb ihn das alles jetzt um, hier am Ufer des Bergsees, eingeschlossen in die Enge und die Finsternis in einer Nacht im Oktober, in der er an Johannes dachte.
Alle Wörter sind ein Gedanke, zum Beispiel der Wind, der Baum, jedes Wort ist eine Lösung, auch „Lösung“ ist eine Lösung
21
Noch einmal gab es ein großes Fest im Lamanderhaus.
205 Jahre des Bestandes von Haus, ehemaliger Mühle und gesamtem Besitz wurden gefeiert. Die Vereine von GO FOR BETTER und POLIKULT veranstalteten zugleich ein Riesenfest für die ganze Region mit Flohmarkt, Tombola, Musik, Lesungen und Bauernmarkt, bis weit in den Lamandergraben standen die Buden und Verkaufsstände. Es war ein herrlicher Tag im späten Oktober, die Menschen aus dem Dorf, den umliegenden Gemeinden und Kolness mischten sich am Ufer des Baches, auf den Wiesen und im Haus. Es schien, als ob die feudaleren Tage zurückgekommen wären, als Müller, Holzhändler und begüterte Bauern hier gelebt und später ein Arzt und eine feine Dame zum 5-Uhr-Tee gebeten hatten.
Das Fest war zugleich Familientreffen. Beide Eltern waren, getrennt angereist, die Mutter brachte Unbrauchbares mit, ließ jedoch ihr Nörgeln beiseite und war für die Gäste eine bizarre Erscheinung mit großem Unterhaltungswert. Karin kam mit ihren Kindern, sie sah ihren Bruder selten, aber die alte Nähe war geblieben. Selbst wenn Tom an die Universität nach Wien musste, sahen sie sich nicht, er besuchte auf dem Rückweg höchstens kurz die Mutter, um wieder einmal den Müll zu entsorgen. Es deprimierte ihn zutiefst, wenn er an die Kindheitsjahre voll Wärme und Zuwendung dachte, sie waren vorbei. Der Vater sprach liebevoll, wie Tom es nicht kannte, mit Elisa, dann zog er sich in die Räume mit den Büchern im ersten Stock zurück und machte Notizen. Tom staunte immer noch über die Veränderung seines Vaters. Später brachte er ihm ein Glas Wein.
Zum Fest hatte Tom auch Professor Karlinger eingeladen, um ihm zu zeigen, wie er lebte und woran und wofür er, neben Mariana-Stauffenberg, arbeitete. Karlinger staunte, unterhielt sich intensiv mit Lucia und Parmenides und packte um Mitternacht zur Überraschung aller seine Klarinette aus, spielte ein paar kurze Stücke von Felix Mendelssohn Bartholdy und einen steirischen Landler. Großer Applaus. Die belebte Stimmung nützend, fiel Tom mit der Gitarre ein, Virgil ergänzte auf der Trompete, es kam zu einer Jamsession, die allen beglückend im Gedächtnis
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