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An diesem einen Punkt der Welt - Roman

An diesem einen Punkt der Welt - Roman

Titel: An diesem einen Punkt der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brita Steinwendtner
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Flaschen standen daneben. Es war beunruhigend still im Haus. Den gelähmten Bruder im Heim hatte er schon seit Monaten nicht besucht. Als Fahrer von Überlandtransportern hatte Franz Europa gesehen, er kreuzte zwischen Amsterdam und Istanbul, Hamburg und Neapel, kannte nichts als Straße, schlafen, Straße, schlafen, Straße, ein schneller Fick irgendwo in einem roten Haus, fahren und fahren, hin und zurück, liefern, schlafen, fahren … Er war nichts außer rollenden Rädern gewesen, nichts außer Lenkrad, Bremsen und Kupplung, nichts außer fahren, das Autoradio spielte den Takt, die Pornohefte in der Schlafkabine stapelten sich, er tauschte sie gegen neue auf den Rastplätzen für Fernfahrer, wo schon die Freunde warteten, einmal die, einmal jene, über Funk wussten sie immer, wo sie waren. Das wusste auch der Chef, sie waren überwacht bis in jede Pinkelpause. Aber Franz liebte dieses Leben, er kannte kein anderes, er wollte kein anderes.
    Und dann machte der Chef Pleite. Die Spediteure sind zum Sterben verurteilt, sagte er, kein Mitkommen mehr mit den ständig neuen Vorschriften der EU, alle gegen die Unternehmer gerichtet, sie sterben aus. Und so kam es, dass Franz nicht einmal die Container zurückgeben musste, er war auch zu faul dazu und niemand forderte sie ein. Die hat ja Konkurs machen müssen, so eine Firma, sagten die Nachbarn. Und bevor Franz das Angebot einer deutschen Spedition annehmen konnte, kam innerhalb weniger Monate das Unglück über den Hof, zuerst starb der Vater, dann geschah der Unfall mit dem Bruder, was die Mutter ins Grab brachte, sagte Franz. Jetzt saß er seit Jahren am Riedlhof, stumpf, antriebslos, nur das Bier und den Schnaps zum Trost.
    Es war ein schöner Hof gewesen. Als die Mutter noch lebte, waren alle Fenster mit roten Pelargonien geschmückt, im Stall standen siebzehn Kühe und entsprechend viel Jungvieh und Kälber, im Frühsommer wuchsen die Wiesen hoch und dicht. Aber Franz hatte keine Hand und keine Begabung für das Bäuerliche, die Gabel fiel ihm aus der Hand, der Traktor krepierte und das Heu verfaulte. Die Rinder hatte er verkauft, die Milch holte er im Dorf. Die Wiesen waren verpachtet. Der Backofen der Mutter, in dem sie jeden Donnerstag die duftenden Sauerteiglaibe für die kommende Woche gebacken hatte, war voll Ruß. Franz konnte das Geld dringend brauchen, das Tom ihm für die drei Kubikmeter Holz unter die Schüssel steckte, die auf der Kredenz inmitten von gebrauchtem Geschirr stand. Ein Schwein hatte Franz behalten und ein paar Hühner, große, schwarze Cemani-Hühner, die ursprünglich aus Sumatra stammten, üppig gefiedert waren, jedoch nur kleine Eier legten. Tom hatte ihm vor einiger Zeit fünf Küken abgenommen, die jetzt, größer geworden, auf dem Lamandergrund nach Würmern scharrten.
    Das Holz liegt am Osthang, sagte Franz, das hat der Sturm vor zwei Jahren verworfen. Musst es halt selber schneiden und herrichten. Schon gut, meinte Tom. Er würde es mit Virgils Hilfe schaffen, der hatte Motorsägen, Sappel und einen alten Traktor mit Anhänger, mit dem sie die Stämme nach Hause bringen konnten. Dort stand noch eine alte Kreissäge. Und Holzhacken liebte Tom als Ausgleich zum stundenlangen Arbeiten mit dem Kopf.
    Der Fliegenfänger über dem Küchentisch war voll toter Tiere.
    Franz zitterte, er konnte den Flaschenhals kaum zum Mund führen. Sein Gesicht war aufgedunsen, rotblau geädert. Ich kann nur mehr ein paar Schritte gehen, sagte er, dann hab’ ich keine Kraft mehr, dann fall’ ich um.
    Durch die schmutziggrauen Fenster sah man kaum hinaus in den kalten, milchig sonnigen Tag. Franz tat Tom leid. Er war einst ein lustiger Spielkamerad gewesen, hier heroben an einem der schönsten Punkte der Gegend. Like a rolling stone , es ging bergab. Bald würde Franz krepieren, wahrscheinlich an Leberzirrhose. Besuch mich doch einmal, sagte Tom hilflos und legte ihm die Hand auf die Schulter, jaja, murmelte Franz und schaute Tom leer in die Augen, mit einem kleinen Lächeln, das schief stecken blieb. Dann fragte Tom, ob sie sich in der Werkstatt umsehen und dies oder das nehmen dürften, er würde es ihm selbstverständlich bezahlen. Nehmt euch, was ihr wollt, ich schenk’s euch, ich brauch’s nicht mehr.
    Ich werde ihm ein Lied schreiben, dachte Tom, ja, das werde ich tun, wenn ich einmal Zeit habe.
    Dominik war schweigsam. Der ist ja ärmer dran als die, die ich betreut hab, sagte er, als sie in der Werkstatt über Hobelspäne stiegen, Laden

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