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An diesem einen Punkt der Welt - Roman

An diesem einen Punkt der Welt - Roman

Titel: An diesem einen Punkt der Welt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Brita Steinwendtner
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Glocken, war es nicht zu früh, war es nicht Ostersonntag, als Jesus Christus auferstand, am Sonntag hatten sie es gefeiert im Park über dem Meer mit gläubigem Herzen, jetzt war Karsamstag, er war allein, er dachte an …, an wen dachte er, wusste seine Mutter, welcher Tag heute war, welche Nacht, Thomas, hast du gebeichtet, hatte sie gefragt …, und morgen zu Roberta und Parmenides, Eiersuchen ist vorbei, aber bunte Eier wird es geben, eingebettet in frisches Moos und Osterstriezel dazu, Regen, Plätschern in den Rinnen, leises Rauschen, die Gänse, die Glocken, morgen ist Auferstehung, warum schon heute? Welches Ostern ist es, welches Jahr und welches ist geträumt, und die Glocken der Dörfer läuten hinweg über die Wälder, die Hügel, die Zeit, er hat nicht gebeichtet, seit Jahren weiß er nicht mehr, was das ist und was es soll, das Wort Sünde ist ihm abhandengekommen, ein Salamander hat es im Höhlenlaub vergraben, noch ist Karsamstag, morgen ist Ostersonntag, dauert Auferstehung so lang? Nebel über dem Böschungswald, morgen wird es schneien, die Glocken läuten, widersinnig und schön, er friert, die Osterglocken gingen und kommen wieder, sind sie heute schon zurück aus Rom und es kommen und gingen die Jahre, der Vollmond ist nicht zu sehen, einmal war die Sonne ein Mond und Elisas Wange an seiner, an meiner Schulter, die Jahre, die Glocken, der Regen, wozu, müd und morgen ist Ostern.
    *
    Virgil war im letzten Jahr rapide gealtert. Die Kur, die er endlich gemacht hatte für sein geschundenes Kreuz, hatte die Schmerzen nur größer gemacht. Sein Leben im alten Bauernhaus auf dem Lenzanger oberhalb des Dorfes wurde mühsam. Er fiel oft hin. Verletzte sich, blieb mitunter lange im Haus liegen, bevor Hilfe kam. Tom ging jeden zweiten oder dritten Tag zu ihm. Er kochte ihm Weiches, obwohl der alte Mann fast nichts mehr zu sich nahm. Virgil sprach über Bäume.
    Kommt die Esche vor der Eiche,
    wird der Sommer weiche.
    Kommt die Eiche vor der Esche,
    wird der Sommer resche.
    Solche Sprüche fielen Virgil jetzt viele ein, er lachte verschmitzt dazu. In seinem Gesicht aber stand große Traurigkeit. Er erzählte viel von früher, über die schwere Arbeit ohne Maschinen, nur mit Säge, Axt, Astschäler und Sappel, sie bauten sich Hütten aus langen Bahnen von Fichtenrinden, die sie Laftenhütten nannten, weit oben im Gelände, immer unwegsam und Stunden von menschlichen Ansiedlungen entfernt. Sie blieben oft die ganze Woche über, manchmal zwei oder drei Wochen, hatten nur Mehl für einen Sterz dabei, ein wenig Zucker und Salz, Bohnen, einen Ranken Geselchtes, vielleicht ein paar getrocknete Apfelspalten. Und Obstler. Manchmal schossen sie ein Stück Wild oder einen Hasen, was die Jagdherrschaft aber mit Strafen ahndete, wenn sie es entdeckte. Sie gingen bald nach dem Einbruch der Dunkelheit schlafen und standen auf mit dem kommenden Licht. Im Sommer um vier, halb fünf Uhr. Sie redeten nicht viel, aber sie konnten sich aufeinander verlassen. Wenn es tage-, oft wochenlang regnete, der Nebel zwischen den Stämmen stand und die Waldbeeren und Pilze verfaulten, trockneten die schweren Lodenkleider nicht, sie schürten das Feuer die ganze Nacht, aber morgens mussten sie in die klammen Hosen und Joppen schlüpfen, der Körper wurde erst warm durch die Arbeit. Es gab immer wieder Unfälle, leichte und schwere, es kam vor, dass einer der Holzfäller verblutete. Der Dorfarzt machte Erste-Hilfe-Kurse, um das Schlimmste zu mildern, denn es dauerte oft viele Stunden, bis sie einen Verletzten zu Tal bringen konnten. Trotzdem, Tom, du wirst es nicht glauben, es war eine schöne Zeit. Es war meine Lebenszeit, sagte Virgil.
    Jetzt fuhren Rodungsmaschinen durch die Wälder, schlugen gerade Schneisen in die Hänge, ließen Verwüstung auf den Böden zurück. Die schweren Transporter mit Anhänger standen auf den Forststraßen bereit, die die Caterpillars und ein Arbeitstrupp in kürzester Zeit angelegt hatten. Jetzt war in ein paar Tagen die frühere Arbeit von Wochen und Monaten erledigt.
    Als er sich nicht mehr alleine zurechtfinden konnte, kam Virgil in das Altersheim von Kolness. Ohne Wald war er endgültig gebrochen, ohne seinen Lenzanger, auf den im Frühjahr die ersten Sonnenstrahlen fielen, den Schnee schmelzen und die ersten Blumen hervorbrechen ließen. Virgil liebte die Worte Lenz und Anger , sie kamen aus einer anderen Zeit, wie er selbst. Seine Trompete nahm Virgil mit in das Heim. Man sagte ihm offen, dass er

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