An einem Tag im Januar
ein Fisch an der Angel.
»Sie gehen nur kurz raus«, sagte Mark. »Setz dich her, dann machen wir dieser Pizza den Garaus.«
Jacob setzte sich. Mark tat ihnen jedem ein Stück auf. »Eigentlich bin ich satt«, sagte Jacob.
»Echt?« Mark biss von seinem Stück ab. »Also, ich in deinem Alter hätte ein ganzes Pferd verdrücken können.«
Jacob stieß eine Art Lachen aus und zog den Kopf ein. »Bisschen was geht vielleicht noch.«
Sie nahmen jeder einen Bissen. Mark schluckte mit zugeschnürter Kehle und beschloss dann, sich eine von Trudy Weills Taktiken auszuborgen. »Ich wollte gern, dass du die Möglichkeit hast, mir ein paar Fragen zu stellen.«
»Fragen?«, wiederholte Jacob mit vollem Mund.
»Klar. Ich an deiner Stelle würde dringend ein paar Sachen wissen wollen. Das muss doch alles ziemlich verwirrend sein.«
Jacob nickte und rollte mit den Augen.
»Gibt es irgendwas, was du von mir wissen möchtest?«
Jacob stellte seine Gabel mit den Zinken nach oben und fing an, sie langsam zwischen den Fingern hin und her zu drehen. Dann fragte er: »Warum sind Sie überhaupt aus dem Haus ausgezogen?«
Genauso gut hätte er Mark die Gabel in den Handrücken stechen können. »Das ist ein bisschen kompliziert.«
»Ach.«
Meinte er das sarkastisch? Er lächelte jedenfalls nicht.
»Es waren uns einfach zu viele Erinnerungen. Nach Brendans Tod war es nicht mehr das Zuhause, das es einmal war. Für uns.«
Jake sagte: »So geht es meiner Mom wahrscheinlich auch.«
»Wie meinst du das?«
»Als Dad ausgezogen ist, hat das Haus sich verändert.«
»Dann kannst du es dir ja vorstellen«, sagte Mark.
Mit leiserer Stimme fuhr Jacob fort: »Mom sagt, Brendan ist durch einen Unfall gestorben?«
»Ja«, sagte Mark.
»Was ist passiert?«
Mark erzählte es ihm. Jacob hörte mit gesenktem Blick zu, dann fragte er: »Warum hatte er seinen Rucksack auf?«
Der Junge hatte jetzt schon das Potenzial für einen Anwalt. Oder er plapperte Fragen nach, die er von seiner Mutter gehört hatte.
»Er hatte Ärger mit mir gekriegt, er sollte seine Spielsachen aufräumen. Aber er hat sich aus seinem Zimmer geschlichen. Ich glaube, er wollte von daheim ausreißen.«
Die Gabel in Jacobs Händen hielt in ihrer Bewegung inne. »Das heißt, er war böse.«
»Ja«, sagte Mark vorsichtig. »Aber er war kein böser Junge. Überhaupt nicht.«
»Sind Sie wütend auf ihn?«
Diese Frage war ihm von seiner Therapeutin oft genug gestellt worden. Aus Jacobs Mund klang sie merkwürdig, grausam. Doch Jacob hatte es leise gefragt, geradeheraus, aus echter Neugier.
»Nein«, antwortete Mark. »Aber mir tut vieles leid. Brendan war bedrückt wegen etwas und hat es mir nicht erzählt. Wenn er’s mir gesagt hätte, dann hätte er vielleicht nicht wegzuschleichen versucht. Und … weil er es mir nicht gesagt hat, kommt es mir jetzt manchmal so vor, als ob er mich angelogen hätte. Und manchmal macht mich das wütend, aber die meiste Zeit bin ich nur traurig, dass er dachte, er könnte sich mir nicht anvertrauen.«
Jacob schwieg lange. Dann trank er einen Schluck Milch. Als er das Glas absetzte, hatte er einen kleinen Schnurrbart. »Schmink dich ab, Kumpel«, sagte Mark und erschrak über die Zärtlichkeit in seiner Stimme.
Gehorsam griff Jacob nach seiner Serviette und wischte sich über die Lippe.
»Kannst du mir sagen, was du siehst?«, bat Mark ihn. »Wenn Brendan kommt?«
Jacob schaute auf die Tischplatte.
»Ich möchte es so gern wissen«, sagte Mark.
Jacob nickte. »Er ist mehr so ein dunkler Schatten. Er steht meistens bei meinem Bett.«
»Sein Gesicht siehst du nicht?«
»Nein. Es ist zu dunkel. Aber manchmal kann ich ihn hören. Er weint meistens.«
Mark ließ ihn nicht aus den Augen. Und da – da! Jacobs Blick flackerte zu Marks Gesicht hoch und dann wieder zurück zu der Gabel in seinen Händen, wie eine Maus, die aus ihrem Loch spitzt.
Marks Mund war so trocken wie seine zusammengeknüllte Serviette. »Aber manchmal … ruft er nach mir?«
»Mhmm«, sagte Jacob. »Manchmal.«
Wenn er doch nur die vorgestrige Nacht zurückholen könnte, diesen letzten Moment in Brendans Zimmer, als die Wahrheit durch ihn hindurchgefahren war wie ein Stromstoß und all seine Zweifel weggeschmort hatte! Das Füßetrappeln auf den Stufen – wenn er sich von dem Geräusch doch noch einmal packen lassen könnte! Von dieser unumstößlichen Gewissheit.
Denn hier war eine andere Wahrheit: Mark war der Vater eines kleinen Jungen, und sein ganzer
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