An einem Tag im Januar
dass es ausgegangen war. Er rechnete zurück; er hatte es seit drei Tagen nicht mehr aufgeladen – seit seinem Treffen mit Chloe im Gewächshaus. Das Ladegerät lag noch daheim auf seinem Schreibtisch.
Er war erleichtert. Er hatte nicht gewusst, was er Allison sagen sollte, und jetzt konnte er ihr gar nichts sagen.
Er ging hinein und setzte sich zu Chloe. Bei ihrem Lächeln wurde ihm warm ums Herz. In ihrer ersten Zeit hatte ihn das immer von Neuem verblüfft: ihr Lächeln, sooft ihr Blick auf ihn fiel, und wenn er nur aus dem Nachbargang im Plattenladen zu ihr zurückkam.
»Ich habe Connie angerufen«, sagte sie. »Wir treffen sie nachher zum Essen. Wenn dir das recht ist.«
Musste es ja, oder? Mark hatte seine Instruktionen. Eine Entschuldigung konnte sie von ihm haben, sicher, aber das hieß noch lange nicht, dass er mit ihr essen gehen wollte. Er wollte …
Er wollte mit Chloe nach Hause fahren. Den Abend mit ihr in ihrer Wohnung verbringen. Sein Handy war leer, niemand konnte ihn erreichen. Er und Chloe wären wirklich und wahrhaftig allein.
»Alles in Ordnung?«, fragte Chloe.
An ihrer Lippe klebte ein Fitzelchen Salat. Er streckte die Hand aus und nahm es weg; sie errötete.
»Alles bestens«, sagte er.
Wegen des Schneefalls waren sie erst spät wieder in der Wohnung. Chloe begann sich sofort für die Essensverabredung fertig zu machen. Mark legte sich auf die Couch, ganz weich in den Knien vor lauter Erschöpfung.
Beide waren für den Rest der Heimfahrt ihren Gedanken nachgehangen. Mark kam nicht los von dem, was Trudy gesagt hatte. Es war alles so fremd für ihn, so neu. Diese Wiedervereinigung, die sie laut Trudy erwartete – mit Brendan, mit seiner Mutter … Er dachte an seinen Vater und ihr Gespräch damals auf der Veranda, an das Bild des Todes, wie Sam es gezeichnet hatte: ein traumloser Schlaf. Auslöschung.
Mark hatte diese Vorstellung jahrelang mit seinem Vater geteilt. Und nun wollte eine durch Tränen lächelnde Trudy von ihm, dass er sie aufgab.
Wenn Trudy recht hatte, dann konnten seine Mutter und Brendan sich endlich kennenlernen, dann konnte seine Mutter sich seiner annehmen, ihn so lieben, wie Mark es sich immer erträumt hatte.
Lass es wahr sein. Bitte lass es wahr sein.
Denn wenn es wahr war, dann würde Mark sie beide wiedersehen. Und Sam auch. Und Chloe, wenn es so weit war. Alle würden sie wieder miteinander vereint sein.
Trudy hatte recht, es war ein Trost – wenn er es sich ausmalte, schien ihm die Last seines Körpers schier unerträglich, und er wusste kaum, wie er den Rest seines Lebens durchstehen sollte.
Er ging völlig auf in dieser Vision, bis Chloes Handy verloren auf dem Küchentisch brummte. Schuldbewusst fuhr er hoch, und erst da merkte er, dass er in seinem Himmel keinen Platz für Allison gelassen hatte.
Pagliacci’s Pizzeria lag ein Stück entfernt in Clintonville: ein rechteckiger brauner Flachbau mit verdunkelten Fenstern und einem grinsenden roten Neonclown über der Tür. Mark hatte Chloes und Connies Wahl widerspruchslos hingenommen, obwohl er das Lokal grässlich fand – Pagliacci’s war ein Kinderrestaurant, in dem auch Brendan ein paarmal Geburtstag gefeiert hatte, und wenn sie einen kleinen Jungen auf eine Séance einstimmen wollten, schuldeten sie ihm vorher verdammt noch mal ein bisschen Spaß.
Die Empfangsdame führte sie an mehreren breiten Innenfenstern zur Küche vorbei, hinter denen Köche mit Hosenträgern, pompombesetzten Clownshüten und kreisrunden Rougeflecken auf den Backen Teigscheiben durch die Luft wirbeln ließen. Selbst jetzt, an einem Montagabend im Schneesturm, schrillte die Luft von Kindergekreisch wie von tausend spitzen Messern.
Connie saß mit Jacob in einer Ecknische. Als sie sie entdeckte, schob sie sich aus der Bank. Ein furchtsamer Blick auf Mark, dann fiel sie Chloe stürmisch um den Hals. Connies Haar war entkraust und stand in steifen Federn von ihrem runden Gesicht weg. Sie trug ein biederes schwarzes Kostüm mit einer cremefarbenen Bluse darunter. Als sie Chloe losließ, sah sie wieder zu Mark hin und presste die Lippen zusammen.
Jacob Pelham blieb am Tisch sitzen, eine ernst blickende, dunkelhaarige kleine Gestalt; seine Brillengläser spiegelten das flackernde Kerzenlicht. Mark tat sich schwer damit, in ihm den nassen, fröhlichen kleinen Seehund von den Fotos auf dem Kaminsims wiederzuerkennen.
»Connie«, sagte er und streckte ihr die Hand hin. »Schön, Sie zu sehen.«
»Hallo, Mark«, sagte sie.
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