An einem Tag im Januar
konnten es ja noch rechtzeitig geradebiegen.«
Jacob warf einen Blick zum Haus. Dann sah er Mark an.
»Aber was ist mit Ms Ross?«
Mark hätte sich gewünscht, ihren Namen nicht hören zu müssen. »Sie verzeiht dir ganz bestimmt auch.«
»Nein«, sagte Jacob, »es … ich sag ihr andauernd, dass ich es nur erfunden habe, aber sie glaubt mir nicht.«
Mark wurde flau im Magen. »Siehst du sie noch?«
»Wussten Sie das nicht?«
»Chloe … Chloe und ich haben keinen Kontakt mehr.«
Jacobs Hand nestelte am Lenker herum.
»Jacob, besucht sie euch noch?«
»Hmm.« Jacob drehte sich wieder um, blickte zur Haustür. »Sie ist jetzt grade da, mit Mom.«
Mark hoffte, dass seine Züge nichts verrieten. Er musste weg hier, er musste den Gang einlegen und losfahren. Aber er hörte sich fragen: »Was macht sie? Wenn sie euch besucht?«
»Sie redet mit Mom. Und … manchmal geht sie auch rauf, nur sie allein.«
Mark schluckte, mühsam.
Jacob sagte: »Vielleicht könnten Sie ihr noch mal sagen, dass ich gelogen habe? Mir glaubt sie es nicht.«
Mark sah in Richtung Haus. »Jacob, ich muss los, leider.«
Jacob machte ein langes Gesicht. »Bitte. Oder soll ich sie holen?«
»Nein, ich muss jetzt sofort los.« Und er setzte rasch hinzu: »Ich ziehe auch um.«
»Aber … Wohin denn?«
Jacob war noch ein kleiner Junge. Er würde Chloe alles erzählen, ganz gleich, was für Versprechungen Mark ihm abnahm.
»Nach Florida«, sagte Mark. »Tampa. Mit meiner Frau.«
»Sind Sie jetzt wieder verheiratet? Mit wem?«
»Jacob. Bitte – bitte sag Chloe nicht, dass ich hier war. Tust du mir den Gefallen? Versprichst du’s?«
Jacob schaute bedrückt, angespannt. »Ja.«
Mark spähte erneut zum Haus hinüber. Wie leicht er von dort bemerkt werden konnte. Er musste weg. Er musste auf der Stelle weg.
Aber er fragte Jacob: »Ist sie … wirkt sie glücklich?«
»Glaub schon«, sagte Jacob. »Sie kauft das Haus von uns. Wenn sie da drüber redet, dann schaut sie richtig glücklich aus.«
Mark schwieg.
»Meinen Sie, dass sie das macht, weil ich diese Sachen erzählt habe?«, fragte Jacob ihn.
Die junge Frau auf der Bank stand auf, warf noch einen Blick auf Mark und ging dann davon.
»Du bist an nichts schuld«, sagte Mark zu Jacob. »An gar nichts. Verstehst du?«
»Aber …«
Wieder sah Mark zum Haus hin. Sah hin, und sein Herz begann zu rasen. Ohne ein Wort zu Jacob legte er den Gang ein und fuhr an. Seine Augen tränten, sein Herz pochte und stieß, drängte und trieb ihn wie Schritte, wie rennende Füße.
Er fuhr lange Zeit ohne Ziel, im Kreis. Er hielt das Lenkrad ruhig und fest in der Hand.
Er zwang sich, nicht an sein altes Haus zu denken, sondern an Molly: seine kleine Tochter, die bald zur Welt kommen würde. In den Augenblicken der Panik, die ihn vereinzelt noch einholten, war das sein Mittel, den Blick nach vorn zu lenken, auf das Leben, das noch vor ihm lag.
Er sah sie lebhaft vor sich – aber nicht als den Säugling, der sie in wenigen Wochen sein würde, nicht als dieses winzige, schreiende Würmchen. Nein, seine Molly war schon ein kleines Mädchen. Sechs Jahre, sieben. So alt wie Brendan. Ein bisschen älter.
Er sah sie hinter sich in ihren Kindersitz geschnallt, gerade noch sichtbar im Rückspiegel. Sah ihr dickes schwarzes Haar, die dunklen Augen – Allies Augen. Ihr rundbackiges, herzförmiges Gesicht. Manchmal, jetzt zum Beispiel, starrte sie ihn so finster an wie ihre Mutter, die Mundwinkel misstrauisch nach unten gebogen. Diesen Mund würde sie machen, sooft ihr etwas nicht passte.
Daddy, würde sie fragen, wenn sie jetzt hier wäre. Wer war der Junge?
Und was würde er ihr antworten?
Ja, würde er sagen, das ist eine lange Geschichte, kleine Maus.
Vor langer Zeit, so würde er sagen, hatte Daddy eine andere Familie.
Damals, würde er sagen, war Daddy mit einer Frau namens Chloe verheiratet. Sie hatten einen kleinen Jungen, der Brendan hieß. Er war dein Bruder. Jetzt gibt es sie beide nicht mehr.
Er sah Molly aufrecht in ihrem Bettchen sitzen, während er ihr das erzählte – denn bei solch einer Geschichte konnte sie sich ja unmöglich hinlegen und schlafen.
Chloe … Seine Tochter würde den fremdartigen Namen prüfend nachsprechen. Brendan …
Aber keine Sorge, würde er sagen – denn musste es seine Tochter nicht beunruhigen, so etwas zu hören? Zu erfahren, dass ihr Daddy nicht immer der Mann gewesen war, den sie kannte? Dass er einmal mit ganzem Herzen und ganzer Seele jemand
Weitere Kostenlose Bücher