Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
An einem Tag im Januar

An einem Tag im Januar

Titel: An einem Tag im Januar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Coake
Vom Netzwerk:
Allies Körper neben ihm anspannte, und er berührte ihre Hand, und sie nahm sie.
    Als der Film aus war, sagte Lew gute Nacht und verschwand in sein Zimmer. Mark und Allie blieben am Küchentisch sitzen und aßen Eiscreme, die er für sie geholt hatte.
    Und?, sagte sie. Magst du über Namen reden?
    Darf ich denn?
    Ihre Augen verengten sich. Hab ich doch grade gesagt, oder?
    Sie probierten etliche aus. Allie war für Melissa – nach ihrer Tante, die gestorben war, als Allie ein kleines Mädchen war – oder Katherine. Mark schlug Namen vor, die ihm immer gefallen hatten: Rachel, Sarah, Elizabeth, Charlotte – so hatte eine von Allisons Großmüttern geheißen, fiel ihm ein.
    Ich hätte auch nichts gegen Molly, sagte sie. Ich meine, als eine Möglichkeit.
    Mark?, sagte sie dann.
    Er saß vor ihr und weinte. Es tut mir leid, murmelte er immer wieder. Es tut mir so leid.
    Gott, ja, ich hab’s verstanden, sagte sie und tätschelte ihm die Hand. Kannst du mal eine andere Platte auflegen?
    Als sie aufbrach, brachte er sie zu ihrem Auto, und sie tat etwas, das ihn überraschte: Sie hob sich schwerfällig auf die Zehenspitzen und umarmte ihn. Ehe Mark es verhindern konnte, hatte er ihr den Kopf zugedreht und versuchte ihre Lippen mit seinen zu streifen.
    O nein, sagte sie wie aus der Pistole geschossen, das lässt du schön bleiben.
    Ist gut, sagte er, augenblicklich beschämt.
    Denkst du, ich habe überhaupt keine Selbstachtung?
    Nein, nein!, versicherte er.
    Sie sah ihn an, lange.
    Ich bin nicht dein verdammter Plan B, sagte sie, stieg in ihr Auto und brauste davon.
    An einem Nachmittag im Juli, nicht lange nachdem er die Idee mit Colorado aufgebracht hatte, holte Mark etwas längst Überfälliges nach: Er fuhr mit Lewis nach Marysville zu Brendans Grab.
    Er fuhr deshalb hin, weil er all diese Monate über auch um Brendan getrauert hatte. Er hatte es sich zu verbieten versucht – schließlich gab es keinen neuen Brendan zu betrauern –, aber Mark war auch nur ein Mensch, und er war einsam, und sooft Allison sich darauf besann, dass sie ihn ja hasste, sooft sie ihn wegstieß, fiel ihm zwangsläufig das Glück wieder ein, das er im Januar empfunden hatte. Es ließ sich jetzt nur zu leicht vergessen, dass Chloe nicht der einzige Grund gewesen war.
    Denn auch das hatte er verabsäumt: Er schuldete seinem Sohn ein letztes Lebewohl.
    Als sie am Friedhof ankamen, stieg Lew mit Mark den kleinen grasgewachsenen Hügel zum Ross’schen Familiengrab hinauf. Sie standen stumm neben dem flachen viereckigen Stein, und nach einer Weile wechselte Lew von einem Bein auf das andere und sagte: Weißt du was, ich lass dich ein bisschen allein. Damit stapfte er den Hügel wieder hinunter und zündete sich im Gehen eine Zigarette an.
    Zum ersten Mal seit fast zwei Jahren saß Mark an Brendans Grab und ließ die Hand über die gemeißelte Inschrift gleiten. brendan samuel fife . 1993–2001. unser geliebter sohn und enkel . In dem Halter steckte ein Blumenstrauß, weiße Lilien.
    Chloes Lieblingsblumen, so frisch, dass sie gut von heute hätten sein können. So frisch, dass Mark rasch aufsah und nach rechts und nach links spähte, ob er Chloe nicht verscheucht hatte – ob sie nicht irgendwo hinter einem Baum stand und ihn beobachtete.
    Er sah nichts. Und dieses Nichts wollte ihn niederwalzen, ihn flach gegen den Grabstein drücken. Er hätte alles gegeben in dieser Sekunde – absolut alles –, um Chloe sehen zu dürfen. Chloe, die froh auf ihn zukam.
    Das würde nicht passieren. Sie würde nicht auf ihn zukommen. Nie wieder.
    Aber Mark konnte weggehen.
    Er berührte den Stein ein letztes Mal und folgte dann Lewis.
    Als er den Kiesweg hinunterging, und auch später noch, auf der Rückfahrt nach Columbus, spürte er eine seltsame, ungebärdige Leichtigkeit. Und zum ersten Mal seit Januar begriff er, was die eigentliche Erkenntnis war, die er aus dem alten Haus mitgenommen hatte: Brendan war nicht verzweifelt. Nicht verloren. Er rief nicht um Hilfe.
    Sein Sohn war wirklich und wahrhaftig tot.
    An diesem Abend lud Mark Allison zu sich zum Essen ein. Er erzählte ihr Witze, tat, was er nur konnte, damit sie sich glücklich und geliebt fühlte. Sie betrachtete ihn noch immer mit Argwohn, doch der bevorstehende Umzug hatte ihr spürbar eine Last von der Seele genommen. Sie redete voll Eifer über Denver und das Leben, das ihr Kind in Colorado erwartete. Für sie, das machte er sich klar, würde nun endlich das Leben beginnen, das sie sich so

Weitere Kostenlose Bücher