An einem Tag im Januar
was er nun tun sollte. Zur Polizei gehen? Um dort was zu sagen? Er schickte eine sms an Allie: Kommst du bald heim? Während er die Buchstaben tippte, fiel ihm ein, dass einer von Allies Freunden aus dem College als Anwalt hier in Columbus arbeitete. Vielleicht konnte er ihnen ja einen Rat geben – jemand, der sie kannte, der die Sache diskret behandeln würde.
Jetzt musste er es Chloe sagen. Das machte er sich klar und sank schwer in seinen Stuhl zurück.
Er klickte auf E-Mail- verfassen und gab Chloes Adresse ein. Eine halbe Stunde probierte er Einleitungssätze durch. Ich werde von einer furchtbaren Frau verfolgt. Nein. Ich habe dir etwas mitzuteilen, was dich sicher verstören wird. Nein. Chloe, halte die Augen offen. Nein und nochmals nein. Diese Frau behauptet, Brendan ist ein Geist und verlangt nach seinem Vater …
Er löschte alles und stieg aus seiner Mail aus.
Ruft nach seinem Daddy. Einen Dreck machte er.
Er klappte sein Telefon auf und suchte Chloes Nummer. Jetzt während der Weihnachtsferien saß sie um diese Tageszeit wahrscheinlich auf der Couch und las. Oder sie kochte sich ihr Abendessen. Vielleicht brütete sie dabei immer noch über Steve und womöglich auch über Mark und Allie.
Chloe, eine Irre ist der Meinung, dass Brendan ein Geist ist. Tschüss, fröhliche Weihnachten.
Nein, er rief Chloe lieber doch nicht an.
Er hatte sie nicht in ihrer Wohnung vor sich gesehen, sondern im Wohnzimmer des alten Hauses. Auf dem Sofa sitzend, vor dem großen Christbaum mit seinen blassgelben Lichterketten, zwischen dessen untersten Zweigen die Päckchen hervorblitzten.
Weihnachten kam, und Chloe würde nicht dort sein. Mark würde nicht dort sein. Nur Connie Pelham und ihr kleiner Sohn waren da.
Aber wenn Brendan auch da war? Ihnen aus dem Schatten heraus zusah, wie sie zusammen lachten, wie sie sich Geschenk um Geschenk überreichten?
Mark stürzte den restlichen Wein hinunter.
Brendan war nicht da, konnte nicht da sein. Weil es verdammt noch mal keine Geister gab .
Als Allie nach Hause kam und hörte, was passiert war, rief sie sofort ihren Anwaltsfreund an, der sagte, er würde auf dem Heimweg vom Büro bei ihnen vorbeischauen. Mark duschte rasch noch und rasierte sich dann mit langsamen, bedächtigen Bewegungen. Unten kochte Allie Nudeln für sie, so stumm, dass es ans Komische grenzte. Was mochte sie denken? Mark hatte keine Ahnung.
Ruft nach seinem Daddy .
Henry Aldridge, der Anwalt, kam um sieben, noch in Anzug und Krawatte. Er war breitschultrig und gutaussehend, mit kupferbraunem Haar und sauberem Politikerscheitel – ein himmelweiter Unterschied zu einem abgerissenen Graphikdesigner, der zum Arbeiten Jogginghosen und die Socken von gestern anzog. Mark hatte darüber vorher nie nachgedacht, aber jetzt – als Henry Allison auf die Wange küsste und er den Blick sah, mit dem sie sich von ihm löste – war er sich plötzlich sicher, dass sie irgendwann einmal etwas miteinander gehabt hatten.
Sie setzten sich um den Küchentisch. Mark goss Henry Wein ein, einen von Allies guten Roten. Henry zog einen Block aus seiner Aktenmappe und lächelte Mark an. »Also, wo drückt der Schuh, Mark?«
Allie hatte am Telefon nur von einem akuten Problem gesprochen. Stockend berichtete Mark von seiner Geschichte nun so viel, wie er über die Lippen brachte.
Henry machte sich Notizen. Als Mark das Wort »Geist« sagte, schnellte sein Blick von seinem Blatt zu ihm hoch und wieder weg. Er lauschte der Schilderung von Marks heutiger Begegnung mit Connie mit hochgezogenen Augenbrauen.
Als Mark geendet hatte, sagte er – nach einem langen Seufzer: »Ich fürchte, viel lässt sich da nicht machen. Die Frau hat dich nicht bedroht, richtig?«
»Nein«, sagte Mark.
»Hmm, du könntest sie unter Umständen verklagen«, sagte Henry. »Aber das wird teuer, und es dauert. Außerdem ist es eine zwiespältige Sache, um es mal so zu sagen. Gut, man könnte Nötigung geltend machen, denkbar ist das immer. Aber sie hat dich an einem öffentlichen Ort angesprochen …«
»Einmal war sie auch hier«, warf Allie ein.
»Könnt ihr das beweisen?«, fragte Henry und nickte mit melancholischem Lächeln, als sie nicht antworteten. »Und wenn dir ihr … ihr Anliegen derart zusetzt« – Henry sah in Marks Richtung, ohne seinen Blick zu suchen –, »dann habe ich meine Zweifel, ob du dazu wirklich vor Gericht aussagen wollen würdest.«
»Ich will, dass sie mich in Frieden lässt«, sagte Mark. »Koste es, was es
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