An einem Tag im Januar
Durch ihre Liebe hatte er wieder gelernt, was es hieß zu hoffen – für sich selbst, für die Zukunft. Sie hatte ihn vor sich selbst gerettet.
Bevor du kamst, habe ich dahinvegetiert, hatte er ihr gesagt. Jetzt lebe ich.
All das hatte er ihr erzählt. Nur von der Woche, die er allein in seinem alten Haus verbracht hatte, wusste sie nichts. Er vermochte sich diese Woche selbst nicht zu erklären, geschweige denn ihr.
Was immer dort passiert war, es war sechs Monate nach Brendans Tod passiert, nur Tage, nachdem Chloe ihm gesagt hatte, dass sie die Scheidung wolle.
Als Chloe endgültig weg war – als sie ihn eines Abends vom Haus ihrer Eltern aus anrief und sagte, ich kann so nicht weitermachen –, da war die Vorstellung, in der engen Wohnung in Short North zu bleiben, ohne sie, ohne Hoffnung auf sie, zu viel für ihn gewesen. Eine knappe Woche hatte er noch durchgehalten, sich apathisch durch den Tag geschleppt. Aber an diesem Freitagabend Ende Juli legte er sich schlafen, während zum Fenster das betrunkene Gackern einer Horde Frauen draußen auf dem Gehsteig hereindrang, und der Anschlag war erreicht. In aller Hast packte er eine kleine Tasche und fuhr die Meile zum Victorian Village und zu seinem alten Haus.
Er kehrte ohne jeden Plan dorthin zurück. Offiziell war er von der Werbeagentur, bei der er seit einem Jahrzehnt angestellt war, nach wie vor beurlaubt, aber neuerdings bearbeitete er ab und zu ein Projekt von zu Hause aus – einfache Jobs, mit denen die Geschäftsleitung die kleine Summe rechtfertigen konnte, die er jeden Monat bekam. Hauptsächlich lebte er von seinem Ersparten – und warum auch nicht? Wofür sollte er noch sparen? Der Gedanke kam ihm mit einem Schmerz, der kaum zu ertragen war: Er war jetzt keinem Menschen mehr verpflichtet. Vielleicht war das mit ein Grund, warum er auf dem Weg in seine alte Straße noch anhielt und eine Flasche Maker’s Mark kaufte – seine Lieblingsdroge zu der Zeit.
Fernsehen und Telefon gab es im alten Haus nicht mehr, aber Strom und Heizung funktionierten noch; er und Chloe hatten damals noch nicht alle Hoffnung aufgegeben, einen Käufer zu finden. Mark schaltete die Heizung an, und während die Luft sich allmählich erwärmte, lag er im Mantel auf dem Sofa, in der Hand ein großes Glas Whiskey. Er spürte das Brennen des ersten Schlucks, und zum ersten Mal seit Wochen merkte er voll Erleichterung, wie ein Knoten tief in ihm sich löste. Neun Jahre hatte er in diesem Haus gewohnt, er kannte jeden Luftzug hier, jeden Geruch, jedes Seufzen und Ächzen. Er fand sich im Dunkeln zurecht. Selbst der schwarze Schlund der Stiege machte ihm weniger aus als in den Tagen, als Chloe und er ihr Leben hier fortzusetzen versucht hatten.
Mark hatte sich nichts zu arbeiten mitgebracht, und er setzte keinen Fuß in sein früheres Büro oben im Turmzimmer. Er schlug nicht eines der Bücher auf, die auf den Regalen im Schlaf- und Arbeitszimmer stehen geblieben waren. Er aß Junggesellen-Fraß – Chicken Wings und Cheese Fries, die ihm nachts um eins von gleichgültigen Studenten geliefert wurden. Er legte Jazz auf dem alten Plattenspieler auf, den er noch aus Highschool-Tagen hatte. Er schrieb Briefe an Chloe, die er unvollendet wieder wegwarf. Er wollte sie zurückhaben – aber um sie dazu zu überreden, brauchte er eine Vision: eine Zukunft, die er ihr als denkbar darstellen konnte. Doch wie sollte eine solche Zukunft aussehen? Konnten sie noch ein Kind bekommen? Konnten sie in einen anderen Staat ziehen? Jeder Vorschlag erschien anstößig. Letztlich wollte er nur eins: dass Chloe wieder an ihn glaubte. Ohne ihren Glauben ergab keine Vision einen Sinn.
Hauptsächlich trank er Whiskey, in größeren Mengen als jemals zuvor.
An seinem zweiten Tag im Haus packte ihn kurzzeitig Angst, als er den Rest von dem Bourbon in sein Glas goss. Er hatte noch nie eine Flasche so schnell leergetrunken. Schuldbewusst vergrub er sie auf dem Grund des halbvollen Müllsacks, bevor er sich klarmachte, dass niemand sie sehen würde. Er konnte tun und lassen, was er wollte.
Er sagte sich, dass er vielleicht genau das brauchte, um Chloes Auszug zu verkraften: ein paar Tage des Vergessens. Die hatte er verdient , sagte er sich – er hatte so viel durchgemacht . Also stapfte er kurz vor Einbruch der Dunkelheit die drei Blocks zu dem Spirituosenladen an der Michigan Avenue. Er nahm noch zwei Flaschen Maker’s aus dem Regal und dazu ein paar Biere, teure Importsorten, die er schon lange
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