An einem Tag im Januar
wolle.«
Henry beugte sich vor. »Mark«, sagte er. »Glaubst du an Geister?«
»Natürlich nicht«, sagte Mark.
»Angenommen, du verklagst sie. Was nicht heißen soll, dass ich dir dazu rate. Aber wenn du es tätest, und ich würde die Gegenseite vertreten, dann wäre das die Frage, die ich dir stellen würde. Wenn Sie nicht an Geister glauben, warum regen Sie sich dann so auf? «
Mark schüttelte den Kopf, zu aufgewühlt – Ungerecht! Ungerecht! –, um zu antworten.
»Wir könnten eine einstweilige Verfügung anstreben«, sagte Henry, »aber vielleicht ist das ja gar nicht nötig. Mir ist schon klar, dass sie einen wunden Punkt bei dir getroffen hat, aber so weit wirst du doch nicht gehen wollen, oder?« Er legte seinen Block weg. »Was ich tun kann, ist Folgendes. Ich kann eine ganz, ganz vage Unterlassungsanordnung aufsetzen. Sie wird mit dem Briefkopf meiner Kanzlei rausgehen, deshalb darf sie keine echten Drohungen enthalten. Aber ich kann darin sagen, dass du dich mit mir in Verbindung gesetzt hast und dass alles, was sie zukünftig unternimmt, eine Klage nach sich ziehen kann. Das entspricht alles den Tatsachen, da ihr mich angerufen habt und ich Anwalt bin und wir jetzt über den Fall gesprochen haben.« Henry lächelte wieder. »Ich schicke es morgen per Einschreiben raus. Es wird alles sehr unheimlich klingen. Ich wette, danach gibt sie Ruhe.«
Sie plauderten noch etwas und tranken ihre Gläser leer. Henry hatte nicht gewusst, dass Mark und Allie verlobt waren. Sein Lächeln wurde immer breiter, als er von ihren Zukunftsplänen erfuhr.
An der Tür drückte er Mark fest die Hand und betonte, dass er ihm für den Brief nichts schuldete. »Sieh’s zur Not als mein Hochzeitsgeschenk.« Er sah Mark in die Augen, als er das sagte. »Da kommt nichts weiter«, sagte er. »Niemand will sich mit Anwälten herumschlagen müssen. Du wirst schon sehen.«
Nachdem er gegangen war, saßen sie auf dem Sofa und schauten fern. Als es Zeit fürs Bett wurde, stand Allie auf, um das Essensgeschirr wegzuräumen. Mark legte sich auf die Seite und lauschte dem Geräusch des einlaufenden Wassers. Auf dem Bildschirm quoll Rauch aus einem U-Bahn-Tunnel irgendwo in Europa. Im Irak schwammen die Straßen weiterhin im Blut. Allie kam zurück, zwängte sich in den Spalt zwischen seinem Rücken und der Lehne und schlang die Arme um seinen Brustkorb.
Er hatte die Frage den ganzen Abend zurückgehalten, aber jetzt musste sie doch heraus. »Muss ich das ernst nehmen? Muss ich hin?«
Allison wartete eine lange Zeit, bevor sie antwortete. »Würde dir das helfen? Es mit eigenen Augen zu sehen?«
»Ich weiß es nicht.«
»Glaubst du denn, es ist irgendetwas dran? Ernsthaft?«
»Nein«, sagte er. Natürlich glaubte er das nicht.
»Ich kann dir nicht sagen, was richtig ist und was falsch«, sagte sie. Was ja stimmte, aber plötzlich machte es ihn wütend, dass sie es nicht konnte. Dass niemand es konnte.
Er konnte nur wiederholen, was er den ganzen Abend stumm in sich hineingemurmelt hatte: »Es ist einfach nicht gerecht.«
»Nein, wirklich nicht.« Sie drückte sich an ihn, schmiegte die Wange an sein Schulterblatt. »Du hast zu viel durchmachen müssen.«
Später versuchte Allison ihn zum Schlafengehen zu bewegen. Er sagte ihr, dass er bald nachkommen würde, aber er wusste, dass an Schlaf nicht zu denken war. Er blieb auf dem Sofa sitzen und stellte den Fernseher leise.
Du hast zu viel durchmachen müssen . Allie hatte es nur nett gemeint.
Doch Allie wusste nicht – ahnte nicht einmal ansatzweise –, warum Connie Pelhams Worte vorhin ihn derart tief getroffen hatten.
Mit einem Mal machte ihn das wütend – auf eine Art, die ihn erschreckte und befriedigte: Einen Dreck wusste Allison von dem, was er alles durchgemacht hatte.
Gut, sagte er sich, Allie wusste es deshalb nicht, weil sie nicht gelitten hatte. Nicht so wie er. Gott sei Dank hatte sie das nicht. Gayle, seine Therapeutin, hatte ihn das öfters gefragt: Möchten Sie wirklich, dass andere Ihren Verlust nachvollziehen können? Nein, hatte er jedes Mal gesagt – nein, natürlich nicht. Er wünschte niemandem auch nur einen Bruchteil seines Unglücks.
Allison wusste sehr viel über ihn. Keine Frau, die halbwegs bei Verstand war, hätte sich mit einem Trauerkloß wie ihm eingelassen, wenn er nicht bereit gewesen wäre, ihr seine Abgründe zu offenbaren. Er hatte ihr erzählt, wie er Brendan auf dem Treppenabsatz gefunden hatte; er hatte ihr von Brendans leeren,
Weitere Kostenlose Bücher