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An einem Tag im Januar

An einem Tag im Januar

Titel: An einem Tag im Januar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Coake
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High Street nordwärts, ließ sich von der Menge treiben. So viele Menschen, alle vergnügt, die rauchten, tranken, lachten; so viele aneinandergeschmiegte Paare. Mark kam an der offenen Tür eines italienischen Restaurants und der Schlange schwatzender Leute vorbei, die auf einen Tisch warteten. Er roch angebratenen Knoblauch, den molligen Duft warmen Brots. Er kam zu einer Kunstgalerie; ohne lang nachzudenken, trat er ein, nickte dem ausgemergelten Mann mit Cowboykrawatte zu, der an dem Tischchen neben dem Eingang saß, und besah sich die peinigend schlechte abstrakte Kunst. Er hatte ein bisschen Kunst studiert; Kunst interessierte ihn. Hier stand er: ein Mann, der am Leben teilnahm. Ein Bürger dieser Welt. Er hatte Bedürfnisse und eine Meinung zu den Dingen. Sein Magen knurrte.
    Er verließ die Galerie, bummelte weiter den Gehsteig entlang. Wovor sollte er Angst haben? Keines der Geschäfte und Lokale, an die er sich aus seinem alten Leben erinnerte, war mehr wie früher. Aber er war es ja auch nicht.
    Dann kam die Seitenstraße, in der Chloe und er ihre Wohnung gehabt hatten. Er schielte nach rechts, sah das Haus – heruntergekommen jetzt, schäbiger, als er es im Gedächtnis hatte. Sein altes Fenster dunkel, geballte Leere, ein Schatten über und hinter dem Getriebe der High Street. Die Bleibe eines traurigen, einsamen Mannes, der seine Ohren vor der Fröhlichkeit draußen verschloss.
    Dieser Mann war er nicht. Nicht mehr.
    Mark schlenderte weiter. Und hier ging es die Stufen hinunter, unter dem Mauerbogen hindurch. Dahinter war früher Dougie’s Bar gewesen, in die er immer mit Chloe und Lew gegangen war. Eine Studentenkneipe, in der hauptsächlich Punkbands spielten. Jetzt schien es ein gehobener Jazzclub zu sein. Mark lehnte sich ans Geländer und lauschte der geschmeidig mäandernden Basslinie, die die Treppe heraufklang. Als Frischverheirateter – sicher und geborgen in seinem Glück – war er damals dieselben Stufen hinuntergestiegen. Chloes Hand in seiner. Lew auf der Bühne, mit schweißüberströmtem Gesicht, brüllend, seine Bassgitarre schwingend wie ein Menschenfresser seine Keule.
    Mark ging die Stufen hinunter in die Bar. In die Ostwand war jetzt eine Nische gehauen, und darin spielte eine Combo – lauter Männer, die wie sein Vater aussahen; sie hätten Sam gefallen und ihre Musik erst recht. Dessen war sich Mark zu hundert Prozent sicher – so sehr, dass er verstohlen um sich spähte, um sich zu vergewissern, dass Sam nicht da war und ihn beobachtete.
    Er war nicht da, also ging Mark zum Barmann und bestellte noch ein Guinness. Der erste Schluck floss ihm wie von selbst die Kehle hinunter. Er ließ ihm einen zweiten folgen, dann noch einen, die Augen geschlossen, während die Musik in seinem Kopf Raum griff.
    Eine Stunde und noch zwei Biere später stieg Mark wieder die Treppe zur Straße hinauf. Seine Füße schienen ein Stück über den Stufen zu schweben. Er fühlte sich weniger wie er selbst, und das war gut so. Draußen war es deutlich kälter geworden, aber er ging nicht zu seinem Auto – wozu auch? Fahren kam jetzt nicht mehr in Frage. Stattdessen hielt er sich weiter nach Norden. An der Ecke vor ihm ein Menschenauflauf – irgendein offizieller Anlass, lauter junge Leute in Abendkleidung, vielleicht feierte irgendeine Studentenverbindung –, und er bog in eine Nebenstraße ein und dann in die nächste, um nicht an ihnen vorbeizumüssen. Eine korpulente Frau, die rauchend vor einer Geschenkboutique stand – ihm im Alter näher als irgendeine der Frauen in der Bar, aus der er gerade kam –, lächelte und wünschte ihm einen guten Abend.
    »Gleichfalls, gleichfalls«, sagte er in seiner Rolle als Dr. Fife, der Herzchirurg.
    Und dann – wie war das zugegangen? – stand er an der Ecke Buttles und Wall Avenue, genau auf der Trennlinie zwischen den Geschäften von Short North und den hohen Backsteinhäusern des Victorian Village.
    An dieser Ecke, auf dieser Bank – der steinernen Bank gleich da drüben –, hatte Mark Brendan Rechts und Links beigebracht, anhand der Autos, die vorn an der Kreuzung auf die High Street einbogen.
    Der blaue Käfer, sagte er etwa. Wohin biegt der?
    Nach links, sagte Brendan. Und noch einmal, mit festerer Stimme – sein Gesicht angespannt, als gehörte Mut dazu, die richtige Antwort zu wissen: links.
    Prima, lobte Mark. Probieren wir fünf von sechs? Und er bekämpfte seinen Drang, Brendan die Haare zu verwuscheln, denn das hätte ihn in seiner

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