An einem Tag im Januar
Mark über den Tisch hinschob. »Fröhliche Weihnachten, Alter«, sagte er. »Ein bisschen Musik. Fast alles Raubkopien, aber das habe ich nie gesagt.«
Mark war gar nicht auf den Gedanken gekommen, Lew etwas zu schenken. »Ich bin doch ein Idiot!«
Lew zuckte die Achseln, warf ihm einen Blick zu. »Ich hab mir von Santa ein Bier gewünscht.«
Mark lächelte. »Ich schulde dir viel mehr als das. Wie geht es dir?«
Lew winkte ab. »Nichts da. Du bist hier das Sorgenkind.« Er sah wieder auf Marks Glas. »Sag mir, dass du nicht single bist.«
»Nein«, sagte Mark. »Das ist es nicht.«
Die Kellnerin kam mit Lews Bier und stellte es vor ihn hin. »Dann schieß los«, sagte Lew.
»Ich … ich weiß nicht, wie.«
Lew runzelte besorgt die Stirn. Und wieder beschlich Mark ein seltsames Unbehagen, aber er sagte sich, dass er jetzt nicht kneifen durfte. Seine Therapeutin hatte ihn das einmal gefragt: Wie lange ist es her, dass Sie irgendwen ins Vertrauen gezogen haben?
Also holte Mark tief Atem und legte los. Statt in Lews Gesicht sah er auf seine gefalteten Hände auf der Tischplatte. Er begann damit, wie Connie draußen vor dem Coffee Shop gestanden und zu ihm hereingestarrt hatte. Als er zu der Szene in der Buchhandlung kam, murmelte Lew: »Verdammte Scheiße!« Als er ihm erzählte, was Connie gestern zu ihm gesagt hatte, ließ Lew sich stumm in seinen Sitz zurücksinken. Er berichtete ihm alles, was ihm durch den Kopf gegangen war – fast alles. Lew wusste, dass Mark sich einmal beinahe zu Tode getrunken hatte, aber was Mark bei der Gelegenheit in dem alten Haus erlebt hatte, wusste er nicht.
»Mann«, sagte Lew, als er am Ende angekommen war. »Mann, ist das eine Scheiße.«
»Tja.«
»Du hättest mich anrufen sollen.«
»Ich weiß. Es tut mir leid.«
»Was machst du jetzt?«
»Warten«, sagte Mark. »Hoffen, dass der Brief Wirkung zeigt. Wenn sie weitermacht, werde ich ihr wohl mit einer Klage drohen.«
Lew leerte sein Glas, hielt der Kellnerin zwei Finger hoch. Er überlegte einen Moment, bevor er fragte: »Weiß Chloe es?«
Mark schüttelte den Kopf. »Sie hat schon das mit der Verlobung nicht sonderlich gut aufgenommen.«
Lew stieß gedehnt die Luft aus.
»Du kennst sie ja«, sagte Mark. »Was hätte ich sagen sollen?«
»Ich weiß es nicht. Aber, verdammt, du darfst nicht warten, bis diese Frau sie aufspürt. Sie muss es von dir erfahren.«
Mark nickte bedrückt.
Lew schüttelte langsam den Kopf. »Okay. Das mit dem Anwalt war ein guter Schachzug. Aber – was erwartet diese Person denn jetzt von dir?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Mark. Die Frage verfolgte ihn, seit Allie sie ihm das erste Mal gestellt hatte. »Ich glaube, sie will, dass ich zu ihnen komme – ich begreife nur nicht ganz, wozu. Wenn es Geister wirklich gäbe, würde ich ja hinfahren. Aber …«
Lew betrachtete ihn nachdenklich. Die Kellnerin kam mit ihren Bieren, und Lew nahm einen langen Schluck, bevor er sagte: »Wahrscheinlich hast du recht. Wahrscheinlich ist es bloß der Junge.«
»Aber?«
Lews linker Mundwinkel bog sich nach oben, aber nicht zu einem Lächeln.
»Sag es«, verlangte Mark.
»Ich weiß nicht, ob das klug ist.«
Marks Unbehagen wuchs.
»Gut, dann sag ich’s eben. Schließlich reden wir ja nur.« Lew wandte den Blick nicht von Mark. »Besteht irgendeine Möglichkeit, dass etwas dran ist?«
Marks Mund war trocken. »Nein.«
»Lass uns hier nichts übers Knie brechen. Bist du dir sicher? Bist du dir zu hundert Prozent sicher, dass sie lügt?«
Mark sagte widerstrebend: »Nicht sie, aber der Junge.«
»Wahrscheinlich hast du recht. Ich glaube auch, dass der Junge lügt. Es ist die logischste Erklärung. Aber weißt du, so ganz ohne Weiteres kann ich die Sache nicht abtun.«
»Was?«
Lew sah ihn so merkwürdig schief an. Und schlagartig wusste Mark, wo sein Unbehagen herkam: Lew glaubte an Geister. Er behauptete, einmal einen gesehen zu haben.
Wie hatte er das vergessen können?
Er wusste noch, wie Lew die Geschichte zum ersten Mal erzählt hatte, in der Wohnung, die sie als Studenten geteilt hatten. Chloe war auch dabei gewesen; sie hatten zusammen mit Lew und seiner damaligen Freundin einen Horrorfilm gesehen, und danach ließen sie einen Joint herumgehen und gaben Schauergeschichten zum Besten. Und Lew sagte: Tja, ich hab auch schon mal einen Geist gesehen. Und dann erzählte er ihnen, was passiert war, und Mark hielt Chloe unter einer Decke auf dem Sofa im Arm und spürte, wie ihr Körper
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