An einem Tag im Januar
deine Schuld. Gar nichts.«
Sie berührte mit der Daumenkuppe seine Lippen. Fuhr mit dem Nagel ihre Konturen nach, wie um sie über diesen letzten Worten zu versiegeln.
Morgens um zwei schob sich Mark vorsichtig unter Allisons Arm heraus und schlich hinunter ins Wohnzimmer. Er setzte sich mit seinem Handy aufs Sofa und wählte Chloes Nummer.
Als ihre Mailbox ansprang, sagte er sehr ruhig: »Chloe. Ich hätte dir das von Connie sagen sollen, und es tut mir leid, dass ich es nicht getan habe. Ich dachte wirklich, ich würde dir damit in einer schwierigen Zeit Stress ersparen. Aber das war falsch von mir. Es geht dich genauso an.«
Er sah hoch zu der Lampe, die in einem trüben Gelb über seinem Kopf leuchtete, ihre Glasschale gesprenkelt von den Schatten toter Insekten.
»Aber du hast kein Recht mehr, so mit mir zu reden. Du hast kein Recht, hierherzukommen und so eine Szene zu machen. Deshalb trennen sich unsere Wege jetzt. Für immer. Melde dich bitte nicht mehr bei mir. Und sag Connie Pelham, wenn sie es noch mal versucht, hol ich die Polizei.« Er schloss die Augen, um den nächsten Teil richtig hinzubekommen. »Ich habe unseren Sohn geliebt, und ich trauere jeden Tag um ihn, und das ist etwas, was du mir nie geglaubt hast. Also sind wir mehr oder weniger quitt.«
Er hatte noch mehr sagen wollen, aber er hatte den Faden verloren, so sehr erschreckten ihn seine Worte.
»Mach’s gut.«
Er klappte das Handy hastig zu, starrte darauf hinab. Trotz seiner Wut hätte er ihr um ein Haar gesagt, dass er sie liebte, ein letztes Mal.
Reglos saß er da, wartend, sich wappnend – wofür? Dass sie wach gelegen und auf seinen Anruf gewartet hatte? Dass sie seine Nachricht abhörte und eilig zurückrief? Dass sie ihn von seinem Entschluss abzubringen suchte, ihn anflehte?
Aber sein Telefon blieb still und stumm. Mark ließ dennoch eine Stunde verstreichen, ehe er sich eingestand: Sechs lange Jahre, nachdem ein Richter sie dazu erklärt hatte, waren er und Chloe endlich geschiedene Leute.
Allies halbleeres Weinglas stand noch neben der Spüle. Der Wein war lauwarm; er trank ihn in einem Zug hinunter, spülte das Glas ab, löschte das Licht und stieg leise die Treppe hinauf.
Sein Puls hämmerte unter dem Satinsaum der Bettdecke, die er bis zum Hals gezogen hatte.
Ich werde dir niemals wehtun. Das hatte er Chloe versprochen.
Und sie hatte ihm versprochen: Ich will immer für dich da sein. Ich gehöre dir. Auf immer und ewig.
Bei ihrer Trauung war das gewesen, im Rosengarten im Whetstone Park, in der Sommersonne. Sie hatten ihr Gelübde beide selbst verfasst. Mein Mark, hatte sie gesagt – mit schwankender Stimme, das Blatt Papier, auf dem sie ihren Text aufgeschrieben hatte, zitternd in ihrer Hand. Erst durch dich bin ich wahrhaft ich selbst geworden.
Beim Empfang danach hatte er den Blick nicht von ihr wenden können. Er war ein Tanzmuffel, aber an diesem Nachmittag tanzte er, weil Chloe so gern tanzte und er bei ihr sein wollte, weil er ihr alles geben wollte, und so hielt er ihre Hände, während sie sich wiegte und bog und die Nadeln aus ihrem Haar schüttelte, so dass es ihr den Rücken hinabfloss.
Auf immer und ewig . Sag’s noch einmal, hatte er sie in dieser Nacht in ihrem Hotelzimmer gebeten.
Ich gehöre dir, hatte sie gesagt und die Arme auf den Laken nach hinten geworfen. Auf ewig.
In Marks Schädel fing es zu pochen an. Er sah Chloe vor sich, wie sie seine Nachricht abhörte, wenn sie morgen früh aufwachte. Wie sie in ihrem Bett lag, schluchzend vor Wut oder Verzweiflung oder beidem zusammen.
Und er erinnerte sich – zur Selbstbestrafung vielleicht – an die erste Nacht, nachdem er und Chloe mit Brendan aus der Klinik heimgekommen waren. Auch damals hatte Mark nicht schlafen können. Er hatte hellwach in dem Schaukelstuhl gesessen, der früher seiner Mutter gehört hatte, neben dem Bett, in dem Chloe schlief; auf dem Boden zwischen ihnen lag Brendan in seiner Korbwiege, fest eingepackt, nicht richtig schlafend, aber auch nicht so recht wach. Sein Atem ging in kleinen Quietschern.
Mark war zu erfüllt von allem gewesen, um zu schlafen. Von seinem Sohn in seinen Windeln. Von Chloe, die so klein unter der Bettdecke lag, ihr Gesicht gelöst und selbst im Schlaf ihrem Kind zugekehrt. Mark stützte die Ellbogen auf die Knie und betrachtete die beiden im Schein des Nachtlichts, das er schnell noch neben dem Bett eingestöpselt hatte. Seine Frau. Sein Kind.
Dann hatte Brendan gehickst, leicht gezuckt.
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