An einem Tag im Januar
Stimmen drüben im Esszimmer. Am vernehmlichsten war die von Helen, in der Regel gefolgt von Allisons Lachen.
Er sagte sich, dass an Allison oder der Art ihres Kennenlernens nichts war, für das er sich verstecken musste. Sie waren beide erwachsen; in der richtigen Gesellschaft – na ja, der von Lew – hatte die Geschichte durchaus ihre komischen Seiten. Dennoch hielten sie diese Mär aufrecht, die Allie jetzt eben im Esszimmer breittrat.
In Wahrheit waren sie keineswegs zusammen heimgeflogen, geschweige denn im Taxi gefahren. Als sie am nächsten Morgen wach wurden, hatte Allie gemacht, dass sie aus seinem Zimmer kam. Während sie schamrot ihre Kleider zusammenraffte, merkte Mark, dass er nicht einmal ihren Nachnamen wusste.
Er hätte sie wohl nie wiedergesehen, wenn nicht Allie im Winter darauf von seiner Firma eingestellt worden wäre. Marks Chef versammelte die Belegschaft am Montagmorgen, um die neue Webdesign-Spezialistin einzuführen, und als er sagte: Begrüßen wir ganz herzlich – Allison Daniel, hatte Mark aufgeschaut und war Allisons Blick begegnet. Sie hatte rasch die Augen niedergeschlagen, und zwei purpurne Flecken waren auf ihren Wangen erschienen, während Marks Chef ihre Qualifikationen und die Synergieeffekte besang, die sie ihrem Team bescheren würde.
Nach dem Mittagessen war sie dann im Pausenraum zu ihm gekommen. Die Welt ist klein, sagte sie.
Und Columbus ein Dorf, erwiderte er.
Sie lächelte, errötete. Sie hatte sich das Haar wachsen lassen; sie trug eine Nickelbrille, ein maßgeschneidertes graues Kostüm und sehr hohe Absätze. Er sagte sich: Ich rede hier mit einer Frau, die nach dem Sex mit mir gar nicht schnell genug Reißaus nehmen konnte.
Allie Daniel, sagte sie und streckte ihm die Hand hin. Ich – ich glaube, wir haben uns noch nicht richtig kennengelernt.
Ein Gewicht fiel von ihm ab.
Mark Fife, sagte er. So was Ähnliches wollte ich auch grade sagen.
Eine Woche nachdem sie in der Firma angefangen hatte, kam Allie mit ihrem Mittagessen an Marks Schreibtisch. Sie aßen einträchtig, und Mark war wie schon in Newark bezaubert von Allies großen, intensiven Augen, ihren vollen Lippen und diesem leicht bräunlichen Teint, als hätte ein Teil ihres genetischen Codes den Weg über Bombay genommen. Von dem unbändigen Lachen, in das sie ausbrechen konnte.
Dann streifte ihr Blick die Fotos, die neben seinem Computer hingen.
Ist das …?, setzte sie an. Sein Herz begann dumpf zu schlagen, als sie sich zu den Bildern vorbeugte. Der Junge muss verwandt mit dir sein, sagte sie.
Sie sah von Brendans Gesicht zu dem von Mark. Und das, begriff er nachträglich, war der wahre Beginn ihrer Geschichte gewesen. Er hatte gewusst, er konnte Allison lieben, als sie den Schmerz in seinem Gesicht gesehen hatte und nicht zurückgezuckt war.
Erzählst du’s mir?, hatte sie gefragt.
Jetzt goss er in der Küche den Kaffee in die auf dem Tablett wartenden Becher. Lachen drang zu ihm herein – Helens, Allies.
Ging es seinem Vater zwischendurch auch so? Vielleicht war es für einen Mann in Sams Alter ja anders. Wann hatte Sam Helen wohl erzählt, dass er Witwer war? Wann war Helen klar geworden, dass Sam sich fast zwei Jahrzehnte lang nicht mehr gebunden hatte? Möglicherweise war ihre Geschichte auf ihre Art nicht weniger geklittert als seine und Allisons.
Was nicht heißen sollte, dass sie nicht zueinander passten. Er konnte ja sehen, dass Helen großartig war – gescheit, witzig, schön: eine Frau, wie er sie seinem Vater nur wünschen konnte. Aber auch das sah er: Abgesehen von einer grundsätzlichen Güte und Nettigkeit, die sie sicher verband, hätten keine zwei Frauen unterschiedlicher sein können als sie und seine Mutter. Und das kränkte ihn – so tief, dass er sich nicht dazu überwinden konnte, zu den anderen zurückzugehen.
Zum wiederholten Mal fragte er sich, was seine Mutter wohl von Allison halten würde.
Ich kann mir niemanden vorstellen, der besser zu dir passt als Chloe, hatte sie ihm nur wenige Tage vor ihrem Tod gesagt. Ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich bin, dass ich sie noch kennenlernen durfte.
Mark goss sich ein Glas Wein ein, stürzte es hinunter, spülte dann das Glas aus und trank ein paar Schluck Kaffee, um den Geruch zu überdecken.
Sein Vater erschien in der Küchentür. »Kann ich dir helfen?«
»Du kannst mir zuschauen, wie ich das Eis portioniere«, sagte Mark. Sams Vaterinstinkte waren offenbar ungebrochen. Hatte er bis ins Esszimmer hinein
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