An einem Tag im Januar
Allie auf der Bettkante saß. Sie griff nach seiner Hand. »Nein!«, sagte sie immer wieder. »Ach, Darly, nein!«
Darlenes Freund Tim war ausgezogen, berichtete sie ihm nach dem Auflegen. Sie hatten seit Wochen nur noch gestritten, und an Neujahr hatte er ihr schließlich eröffnet, dass er eine andere hatte.
Allison liefen die Tränen übers Gesicht. »Ich hab echt gedacht, sie würden heiraten«, sagte sie immer wieder. Das hatte Mark auch gedacht. Noch an Weihnachten hatte Tim – abgerissen, rastalockig, in Patschulidüfte gehüllt – Sam voller Eifer von seinen und Darlenes Geschäftsplänen berichtet und dazu sein Weihnachtsgeschenk von Darlene getragen: einen selbstgestrickten Pullover, über dessen Brust Rentiere trabten.
Allison strich stundenlang unruhig durchs Haus, bis Mark endlich begriff, dass sie nur deshalb noch nicht längst an die Seite ihrer Schwester geeilt war, weil sie ihn mit seinem eingeklemmten Nerv nicht allein lassen wollte. »Fahr«, sagte er ihr. Er hatte sich von ihr an diesem Morgen endlich zum Arzt scheuchen lassen; mit den Mitteln, die er jetzt nahm, konnte er sich selbst etwas zu essen machen, zur Toilette gelangen, arbeiten. Zur Not konnte er sogar Auto fahren.
»Bist du sicher?«, fragte Allie.
»Ganz sicher. Und falls Darly mit hierherkommen möchte, jederzeit.«
Allison drückte ihre Stirn an seine. »Danke.«
»Kein Problem«, sagte er und streichelte ihren Nacken.
»Langsam könnte auch mal wieder was Gutes passieren«, sagte sie. »Findest du nicht?«
»Das wird’s auch«, versprach er ihr.
Allison hatte es so eilig loszukommen, dass sie vorher nicht den Wetterbericht hörten. Sie war kaum bei ihrer Schwester angelangt, als ein heftiger Schneesturm über Nordohio hinwegfegte, der alles unter sich begrub, einschließlich der I-74 zwischen Toledo und Columbus. Allie rief ihn am frühen Abend an: Darlenes lange Einfahrt sei völlig zugeweht, sagte sie, und es sei noch unsicher, ob sie am Morgen würde zurückfahren können. Mark starrte oben in seinem Büro durch die geöffneten Vorhänge hinaus in das wilde Gestöber und versicherte ihr wieder und wieder, dass er bestens alleine zurechtkam.
Nachdem er eine halbe Stunde dem Heulen des Winds gelauscht hatte, rief er seinen Vater an. Sam klang schläfrig. »Mir geht’s gut«, sagte er. »Ich bin bei Helen. Wir waren noch im Laden und haben uns mit meinen Grundnahrungsmitteln eingedeckt.«
Salzcräcker. Coca Cola. Gin und Vermouth und Oliven.
»Ich musste gerade an den ersten Blizzard auf der Farm denken, als wir frisch umgezogen waren«, sagte Mark. Es stimmte – eine seiner frühesten Erinnerungen war es, wie sein Vater ihn aufs Fensterbrett hob, damit er die Schneewehen draußen sehen konnte. »Wäre es nicht schön, wenn wir jetzt dort wären und Monopoly spielen würden?« Mit Mom, hätte er fast gesagt. Und mit Chloe und Brendan. Sie alle zusammen, wie es im wirklichen Leben nie geschehen war, geborgen und dösig und warm.
»Doch, das wäre schön«, sagte Sam nach einer Pause, und so, wie er klang, war sich Mark sicher, dass sie beide ihren Weg zu demselben Gedanken gefunden hatten.
In seinem Handy klopfte es – ein eingehender Anruf. Wahrscheinlich noch mal Allison, dachte Mark und ignorierte den Ton.
Nicht viel später sagte er seinem Vater gute Nacht. Die Straßen draußen waren jetzt völlig bedeckt. Der Schnee peitschte fast waagrecht, dicht wie Regen. Er schaltete die Nachrichten ein: dreißig bis vierzig Zentimeter bis zum Morgen, und bis Sonntagmittag noch einmal zwanzig dazu.
Erst dann fiel ihm der Anruf wieder ein. Die Nummer gehörte Chloe.
Mark stieg die Treppe hinunter. Legte das Handy auf den Couchtisch und lehnte sich so weit wie nur möglich nach hinten.
Perfektes Timing, das musste er ihr lassen. Genau jetzt, wo er einsam und nostalgisch war und Allison weit weg. Dieser Scheiß-sechste-Sinn, den sie hatte – als könnte sie seine Momente der Schwäche riechen . Was immer sie loswerden wollte – ob Neuigkeiten von Connie Pelham, eine Entschuldigung oder noch mehr Vorwürfe –, es hatte Zeit bis morgen.
Du bist krank im Kopf . Vielleicht sollte er die Nachricht einfach löschen.
Er ging in die Küche, um sich etwas zu essen zu machen, musste aber feststellen, dass sie fast nichts dahatten, schon gar nicht seinen Strohwitwer-Bedarf: Thunfisch in der Dose, Bohnenkaffee und etwas Salziges, das er kübelweise in sich hineinstopfen konnte. Ihm wurde langsam kalt, seine Rückenmuskeln
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