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An einem Tag im Januar

An einem Tag im Januar

Titel: An einem Tag im Januar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Coake
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verspannten sich wieder. Und ihm fiel die Decke auf den Kopf. Und Chloe hatte angerufen.
    Nur drei Straßen weiter war ein Minimarkt, der die ganze Nacht geöffnet hatte. Da konnte er seine Vorräte aufstocken, bevor der Sturm noch schlimmer wurde. Ein kleiner Marsch würde ihm guttun – nach drei Tagen Liegen war ein bisschen Bewegung sicher nicht verkehrt. Vorsichtig wühlte er seinen Rucksack aus den Tiefen des Garderobenschranks hervor und zog seine Stiefel an.
    Die Luft draußen war erschreckend kalt. Solange er den Gehsteig seiner eigenen Straße entlangstapfte, ging es noch – die geschlossene Häuserreihe hielt den Sturm ab –, aber sowie er um die Ecke bog, fauchte ihm ein grausamer Eiswind entgegen. Seine Backen über dem Schal wurden taub und steif. Um seine Augen bildeten sich waagrechte Eiskrusten. Er hätte der letzte Mensch auf der Welt sein können; die anderen Häuser und Wohnungen waren alle dunkel, wie verlassen.
    Wie ein Geist, dachte er, ein einsamer Geist, der durch die Straßen einer toten Stadt schleicht.
    Der Kassierer im Minimarkt, ein Jüngelchen mit Stacheldrahttattoo um beide Handgelenke, betrachtete ihn regelrecht feindselig, als er durch die Tür gewankt kam. »Sorry«, sagte er mit abwehrend vorgereckten Händen. »Ich mach heut eher zu.«
    Mark keuchte. Sein Rücken hatte sich nicht gebessert, im Gegenteil, dieses vorgebeugte Gehen gegen den Wind hatte ein dumpfes Pochen ausgelöst, das hinunterstrahlte bis in die Kniekehlen. Mein Gott, was war er für ein Idiot. »Bitte«, sagte er. »Zwei Minuten.«
    »Aber höchstens.« Der Junge machte die Augen schmal.
    Mark griff sich, was er konnte: Kaffee. Eine Packung Minipizzen. Zuckercornflakes. Eine Tüte Doritos und eine Dose mit Käsedip. Und dann – der Laden hatte einen kleinen Anbau mit alkoholischen Getränken – eine Flasche Whiskey. Maker’s.
    Ganz falsch. Er wusste es. Doch sobald er die Flasche sah, rückte alles andere in den Hintergrund. Nur ein paar Schluck, damit er dieses warme Brennen im Magen spürte. Damit seine Rückenmuskeln sich entspannten. Der Schmerz hatte ihn am Schlafen gehindert – das hier war genau das, was er brauchte, um endlich bis zum Morgen abschalten zu können. Er lauschte, wartete auf die mahnende Stimme seines Vaters. Auf dieses schuldbewusste Kribbeln. Aber er hörte nur den Wind, der an der Ladentür rüttelte.
    »Wow«, sagte der Kassierer, als Mark mit seiner Beute bei ihm ankam. Er hob die Flasche hoch. »Kleine Party geplant?«
    »Gibt’s hier ein Glas?«, fragte Mark. Er traute seinen eigenen Ohren nicht. »Nein, ernsthaft. Ich brauch dringend einen Schluck für den Heimweg. Mein Rücken bringt mich fast um.«
    Der Junge nickte mehrmals wie zu einem unhörbaren stampfenden Rhythmus, langte dann zu einem Drehständer neben der Theke und holte zwei Schnapsgläser herunter, beide mit dem leuchtend roten O der Ohio State University verziert.
    Sie öffneten das Siegel mit dem beunruhigend großen Taschenmesser des Kassierers, und Mark goss ihnen je einen Schuss ein. Der Kassierer nahm sein Glas und betrachtete mit liebevollem Blick den Inhalt. Sie stießen an. »Auf Monopoly mitten im Blizzard«, sagte Mark.
    Der Kassierer zuckte die Achseln und sagte: »Auf meine Freundin und ihr großes warmes Bett, in dem ich bald drinliegen werde.«
    Eindeutig besser. » Salud «, sagte Mark, und sie tranken.
    Zurück konnte er mit dem Wind gehen; dieser Umstand in Kombination mit dem sanften Nachglühen des Whiskeys in seinem Magen machte den Marsch erträglicher. Alkohol verdünnt das Blut, erinnerte er sich. Das hatte ihnen der alte Mr Sorley an der Westover High irgendwann erklärt. Das Wärmegefühl, das der Alkohol bei Kälte auslöste, war eine gefährliche Einbildung. Bernhardiner mit kleinen Eichenfässchen am Halsband? Lüge, nichts als Lüge. Alkohol schuf die Illusion von Sicherheit, wenn das Herz eigentlich rasen müsste vor Panik.
    Er zwang sich, schneller zu stapfen. Er dachte an Chloes Nachricht auf seiner Mailbox. Sein Herz hämmerte in seiner Brust.
    Als Mark sein Haus erreichte, stellte er fest, dass er sich ausgesperrt hatte. X-mal klopfte er sämtliche seiner Taschen nach dem Schlüssel ab. Kurz befürchtete er sogar, er hätte ihn auf der Ladentheke im Minimarkt vergessen. Aber er hatte das Flurlicht brennen lassen, und durch das hohe, schmale Fenster neben der Haustür sah er den Bund auf dem Tischchen liegen. Er hatte ihn hingelegt, um seine Handschuhe anzuziehen, und dann nicht

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