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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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nichts dagegen tun, da genieße ich mein Leben lieber.«
    Â»Ein sehr vernünftiger Standpunkt.« Er legte seine Zigarette auf dem Rand des Aschenbechers ab und sah sie beinahe unwillig an. »Ich werde einfach nicht klug aus meinen Gefühlen für dich.«
    Â»Du wirst nicht klug daraus?«
    Â»Ja, ich glaube, das beschreibt es richtig. Ich finde, es müsste eine Lösung geben, eine Erklärung. Aber ich kann einfach nicht sagen, was an dir mich so sehr in Unruhe versetzt.«
    Â»Als Unruhestifterin habe ich mich eigentlich nie gesehen.«
    Â»Wirklich nicht, India?«
    Er maß sie mit einem Blick, als wollte er sie sezieren.
    Sie zog die Lippen zu einem Kussmund zusammen. »Du bist wahrscheinlich von meiner Schönheit fasziniert.«
    Â»Ja, das kann gut sein.«
    Â»Oder von meiner Klugheit oder meinem wunderbaren Humor.«
    Â»Ich glaube, es ist die Art, wie du dich selbst inszenierst. Du gibst das hübsche Naivchen, plauderst und lachst und versuchst dabei die ganze Zeit, ja nichts von dir preiszugeben. Dabei möchte man brennend gern wissen, welche Lügen sich hinter dieser Fassade verbergen.«
    Sie hatte Kritik in seinem Blick erwartet oder diesen Ausdruck zynischen Wissens, der sie früher schon verwirrt hatte. Stattdessen sah sie, zu ihrer Überraschung, Traurigkeit.
    Als er wieder zu sprechen begann, war sein Ton gedämpft, als suchte er, sich selbst etwas zu erklären.
    Â»Ich bin jemand, der gern Gewissheit hat«, sagte er leise. »Schließlich bin ich Wissenschaftler. Ich brauche Gründe, Erklärungen. Ich möchte verstehen. Ich fühle mich nicht gern in Besitz genommen, okkupiert. Ich fühle mich nicht gern berührt.«
    Alec Hunter hatte sich in jeden Teil ihres Lebens eingeschlichen. Sein Bild war immer da, es drängte sich in ihre Gedanken, wenn sie im Labor arbeitete, und lenkte sie ab. Sie erinnerte sich mit Erstaunen, wie wohlgeordnet ihr Leben vorher gewesen war, so diszipliniert, so perfekt abgezirkelt. Jetzt schien das Verlangen nach ihm alle Grenzen aufzuheben, ihre ganze Welt zu überschwemmen und zu färben. Ihr Mund war wund von seinen Küssen; wenn sie durch das Mikroskop blickte, fuhr sie mit der Zungenspitze über ihre Lippen, um sie von Neuem zu schmecken. Sie fühlte seine Berührungen, als ob auch sie ihre Spur hinterlassen hätten, ein unsichtbares, schmerzloses Mal auf ihrer Haut. Sie musste ihn aus ihren Gedanken verdrängen, sonst würde sie ihre Arbeit nie fertig bekommen.
    Der Frühling kam, Narzissen nickten mit den Köpfen, blauer Himmel zeigte sich immer wieder zwischen Geschwadern von Regenwolken. Wenn das Wetter schön war, wartete Alec mittags vor dem Krankenhaus auf sie. Manchmal gingen sie in einen kleinen Park, wo Hunde kläfften und Spatzenschwärme wie braunes Blättergewirbel aus den Bäumen stoben. Einmal pustete ein Kind mit gespitztem Mund aus einem Plastikbehälter Seifenblasen in die Luft, schillernde, zarte Gebilde, die taumelnd aufstiegen und sich zu dicken Trauben verbanden, wenn sie aneinanderstießen. Ein ganzer Strom von Blasen zog durch die Luft, in Farben, die von Zartrosa bis Blau irisierten wie Öl in Wasser.
    Alle vier Wochen besuchte Alec einer Gewohnheit folgend, die sich über die Jahre eingebürgert hatte, seine Mutter in Schottland. Er nahm sich dafür ein langes Wochenende, brach am Freitag auf und fuhr mit einigen kurzen Pausen durch, bis er spätabends auf der Insel eintraf. Dort chauffierte er seine Mutter nach Oban zum Einkaufen mit anschließendem Mittagessen und begleitete sie zu Besuchen bei ihren Freunden. Am Montagmorgen trat er dann die Rückfahrt nach London an. Ein ziemlicher Marathon, wie er einräumte.
    Wenn er nicht da war, ging Ellens Tagen eine Dimension verloren; alles, was ihnen einmal Struktur und Substanz gegeben hatte, zerrann in Bedeutungslosigkeit. Sie nahm ihr altes Leben auf wie eine Pflicht und fand wenig Genuss daran. Wie hatte sie vorher überhaupt existiert, in dieser Öde? Sie ertappte sich manchmal dabei, dass sie ihren Freunden mit ihrem ständigen Alec dies und Alec das auf die Nerven ging. Aber was konnte sie tun, wenn sie solche Mühe hatte, Sinn und Freude in etwas zu entdecken, was nicht mit ihm verbunden war?
    In seiner Souterrainwohnung in Clerkenwell hing eine Wachsjacke am Haken, Bücher füllten die Regale: Graham Greene und Aldous Huxley und Schrödingers Was ist

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