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An einem Tag im Winter

An einem Tag im Winter

Titel: An einem Tag im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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und dabei dachte sie an ihre Eltern – brauchte es nicht unbedingt zwei Menschen, die einander in Charakter, Herkunft und Neigungen ähnlich waren, sondern zwei, die einander so tief verbunden waren, dass sie, den Facetten eines Kristalls ähnlich, zu unterschiedlichen Aspekten ein und derselben Person wurden. Der eine mochte manchmal in die eine Richtung tendieren, der andere in eine andere, aber sie blieben ein Ganzes, eine kostbare und harmonische Einheit.
    Sie startete den Wagen und fuhr weiter nach Peddar’s Wood. Eigentlich hatte sie vorgehabt, am Beginn des Wirtschaftswegs zu parken, um Rileys Auto nicht schmutzig zu machen, aber als sie zu der Abzweigung kam, sah sie, dass die ehemals unbefestigte, furchige Schneise jetzt asphaltiert war, und fuhr ein kurzes Stück auf der neuen Straße weiter. Nicht ein Baum stand mehr, der ganze Wald war abgeholzt. Sein Zauber war einer Siedlung kastenförmiger neuer Häuser gewichen, deren grellroter Backstein wie frisches Blut leuchtete. Redmond hat diesen Wald geliebt , hatte Dr. Kaminski gesagt, als sie sich an diesem Nachmittag getrennt hatten. Pharoah hat das gewusst. Er hätte ihn zum Gedenken an seinen alten Freund erhalten können, aber er hat es vorgezogen, ihn abholzen zu lassen. Das war das Schlimmste, was er getan hat. Obwohl man vielleicht sagen könnte, dass es für mich letztlich befreiend war.
    Es war einer jener seltenen englischen Sommerabende, an denen sich die Hitze bis lange nach Einbruch der Dunkelheit hält. Ellen und Riley saßen bei einer Flasche Bier im Garten.
    Â»Ich weiß jetzt, was passiert ist«, sagte sie. »Ich weiß, was Dr. Redmond gemeint hat, als er zu Pharoah sagte, er könne ihn vernichten.«
    Sie erzählte Riley, wie Pharoah Jan Kaminskis Arbeit zu seinem Vorteil missbraucht hatte und von seinem jugendlichen Hang zum Kommunismus. »In den Monaten, in denen ich in Gildersleve gearbeitet habe, ist Pharoah mehrmals nach Amerika gereist«, sagte sie, »um Tagungen zu besuchen und Vorträge zu halten. Er wurde dort weit mehr gefeiert als hier. Wenn Dr. Redmond publik gemacht hätte, dass Pharoah früher mal mit dem Kommunismus geliebäugelt hat, wäre ihm vermutlich die Einreise nach Amerika verweigert worden. Man hätte sein Visum zurückgezogen, so wie es Professor Bernal vom Birkbeck College passiert ist. Wenn dann noch Plagiatsvorwürfe dazugekommen wären … Selbst wenn Dr. Kaminski Redmonds Beschuldigungen nicht bestätigt hätte – Gerüchte können einen Haufen Schaden anrichten. Pharoah wird gewusst haben, dass es mit seiner Karriere vorbei gewesen wäre.«
    Riley öffnete eine zweite Flasche Bier und schenkte ihnen nach. »Ja, das klingt plausibel. Und was ist mit dem rätselhaften Kind?«
    Ellen schüttelte den Kopf. »Nichts. Kaminski weiß nichts von einem Kind. Und Alison Pharoah auch nicht.«
    Â»Eine Sackgasse also.«
    Â»In gewisser Weise, ja.«
    Sie bemerkte seinen fragenden Blick. Warum konnte sie ihm nicht einfach sagen, was sie ihm hatte sagen wollen, sobald er ihr die Tür öffnete? Warum hatte sie ihm, nachdem sie den Wagen abgestellt hatte, von der Fahrt erzählt, nach Annie gefragt und dann auch noch über das Wetter geredet, Herrgott noch mal? Warum saß sie jetzt, wo Annie im Bett, das Au-pair-Mädchen aus und sie mit ihm allein war, hier draußen auf der Gartenbank und zappelte herum wie ein nervöses Schulmädchen, obwohl sie doch am Nachmittag in Gildersleve fast geplatzt war vor Zuversicht und Selbstvertrauen?
    Sie konnten ewig so weitermachen, dachte sie verzweifelt, beide ihrer tiefen Zuneigung zueinander bewusst, aber unfähig, sie ins Leben zu bringen; beide scheu und zurückhaltend, Menschen, die sich in ein Problem vertieften, es von allen Seiten beleuchteten und zerlegten, bis es in Bruchstücken vor ihnen lag, die keinerlei Bedeutung mehr hatten.
    Plötzlich kam ihr ein ganz anderer Gedanke. Welchen Beweis hatte sie eigentlich dafür, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte? Ein paar kurze Berührungen, als sie heute Morgen im Auto gesessen hatten. Ein zärtliches Wort, das möglicherweise versehentlich geäußert worden war. Praktisch nichts. Wenn man ihre gemeinsame Geschichte einmal kritisch betrachtete, gab es kaum einen Hinweis darauf, dass er ihr mehr als freundschaftliche Gefühle entgegenbrachte. Selbst in den frühen Tagen ihrer

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