An einem Tag im Winter
Wood war es gut einen Kilometer. Die Kälte biss ihr in Finger und Zehen, das Licht ihrer Taschenlampe brach sich feurig in den Schneekristallen. Mehrmals war sie nahe daran umzukehren. Dr. Redmond war an diesem Tag wahrscheinlich wegen seines Zerwürfnisses mit Marcus Pharoah zu Hause geblieben. Oder seine Erkältung hatte sich verschlimmert, und er hatte den Tag im Bett verbracht. Er würde sich über ihren Besuch nicht unbedingt freuen.
Doch das Unbehagen, das sie den ganzen Tag schon plagte, lieà sich nicht vertreiben, und so ging sie weiter. Im Schein ihrer Lampe konnte sie erkennen, dass eine geschlossene weiÃe Decke Hecken und Felder überzog, doch im Peddarâs Wood hatten die Bäume den FuÃweg von Schnee frei gehalten.
An der Wegkreuzung, wo sie Dr. Redmond mit seinem Schubkarren begegnet war, bog sie nach links auf den etwas breiteren Pfad ab, der zum Wirtschaftsweg führte. Sie sah das Licht in den Fenstern des Hauses und war erleichtert. Alles war in Ordnung, er hatte den Tag freigenommen, weil er sich nicht wohlfühlte, das war alles, wie albern von ihr, sich Sorgen zu machen. Ihr fiel auf, dass im frischen Schnee auf dem Wirtschaftsweg keine FuÃspuren waren.
Vor der Haustür angekommen, klopfte sie. Als sich nichts rührte, schaute sie durch ein Fenster. In dem Zimmer dahinter sah es chaotisch aus, überall lagen aus den Regalen gerissene Bücher herum. Sie drehte den Knauf an der Haustür; sie war unverschlossen.
Die Tür führte direkt in das Wohnzimmer, das sie durchs Fenster gesehen hatte. »Dr. Redmond?«, rief sie, erhielt aber keine Antwort.
Ihr Blick wanderte durch den Raum. Zwei Sessel mit abgenutzten Bezügen, ein schäbiges Sofa und ein schwerer altmodischer Tisch mit einer Garnitur Stühle im gleichen Stil. Im offenen Kamin lag Asche, von einigen der auf dem fadenscheinigen Teppich verstreuten Bücher hatte sich der Rücken gelöst, die Seiten waren zerknittert. Eine Handvoll Fotografien, wie zornig zu Boden geworfen, fiel ihr ins Auge. Sie hob eine davon auf. Sie zeigte einen Haselstrauch, gekappt wie jene im Wald.
An das Wohnzimmer schloss sich eine kleine Küche mit Keramikspülbecken, Calor-Gasherd und Geschirrschrank an. Hier herrschte die gleiche Unordnung â offene Schubladen, ihr Inhalt über den FuÃboden verstreut. Ein Topf auf dem Herd enthielt irgendeine braune, nicht identifizierbare Masse, und auf dem Fensterbrett wartete eine Untertasse mit Brotbröckchen und Fett vermutlich auf hungrige Vögel. Auf dem kalt gewordenen Tee in dem Henkelbecher, der auf dem Tisch stand, schwammen schaumige Bläschen.
Das Haus wirkte leer, genau wie das Labor. Dr. Redmond konnte verreist sein. Vielleicht hatte er Eltern, einen Bruder, einen Freund, bei denen er zu Besuch war. Eine Tür führte aus dem Wohnzimmer hinaus, vermutlich zur Treppe. Wenn sie schon da war, sollte sie auf jeden Fall noch oben nachsehen, es konnte ja sein, dass er wirklich krank war, dass sich die Erkältung zu einer Grippe ausgewachsen hatte und er ganz allein dort oben lag, ohne eine Möglichkeit, Hilfe zu holen.
Sie drückte die Klinke herunter. Die Tür lieà sich nur einen Spalt öffnen. Irgendetwas auf der anderen Seite blockierte sie. Sie versuchte es mit mehr Druck, stieà mit der Schulter dagegen, bis es ihr gelang, die Finger durch den erweiterten Spalt zu zwängen.
Sie berührte etwas Weiches, Stoff, gerippten Stoff wie Cord. Sofort fiel ihr die schäbige Cordjacke ein, die Dr. Redmond jeden Tag im Labor anhatte. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie mit aller Kraft gegen die Tür drückte und dann den Fuà in die schmale Ãffnung schob. Mit der Schulter voraus quetschte sie sich hindurch und wäre beinahe über Dr. Redmond gestürzt.
Er lag am Fuà der Treppe, die Brille mit den zersprungenen Gläsern ein Stück von seinem ausgestreckten Arm entfernt. Vorsichtig berührte Ellen seine Finger, sie waren eiskalt. Sie fürchtete sich davor, ihm mit der Lampe ins Gesicht zu leuchten, doch sie tat es trotzdem. Seine Augen waren ein klein wenig geöffnet, als hätte er einen letzten Blick auf die Welt werfen wollen, bevor sie erloschen und mit ihnen das Licht und das Leben.
Es schien ihr herzlos, ihn dort allein zu lassen. Der Gedanke bedrückte sie, während sie stolpernd auf dem Wirtschaftsweg zum FuÃpfad durch den Wald zurücklief, aber sie hatte keine
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