An einem Tag im Winter
vernachlässigten Haus, ausdrückte. Riley prüfte automatisch den Puls, obwohl er gleich erkannte, dass der Mann schon einige Zeit nicht mehr am Leben war.
»Ist Dr. Bell schon unterwegs?«, fragte er, ohne sich umzudrehen.
»Müsste jeden Moment hier sein, Sir«, antwortete Claybrooke.
Riley und sein Sergeant blieben bis zur Ankunft des Arztes im Haus und fuhren dann weiter nach Gildersleve Hall. Unterwegs dachte Riley an Pearl, seine Frau. Vor einer Woche waren sie nach London umgezogen, weil Pearl von Cambridgeshire genug gehabt hatte. Riley arbeitete nur noch den Rest seiner Kündigungszeit ab und würde in zwei Wochen zur London Metropolitan Police zurückkehren, zu Scotland Yard. Wie fühlten sich Pearl und Annie in dem neuen Haus? Besaà es noch den Reiz des Neuen, oder machte sich schon erste Ernüchterung bemerkbar? Immer sehnte sich Pearl nach Veränderung, und immer war sie hinterher enttäuscht.
Claybrooke lenkte den Wagen durch ein Tor auf eine gekieste Zufahrt, und Riley sah zum ersten Mal Gildersleve Hall vor sich. Als sie parkten, wurde die Haustür aufgestoÃen, und ein kurzbeiniger, bulliger Mann in einer Tarnjacke kam ihnen die Treppe hinunter entgegen.
»Dr. Pharoah ist noch nicht hier«, sagte er, nachdem Riley ihn begrüÃt und seinen Ausweis gezeigt hatte.
»Das macht nichts. Wir können später mit ihm sprechen. Und wer sind Sie?«
»Roy Gosse.« Er bot Riley weder die Hand noch eine Erklärung seiner Funktion in Gildersleve. »Er war auf irgendeiner Veranstaltung«, teilte er ihm stattdessen mit. »Aber er ist schon unterwegs.«
»Geben Sie mir Bescheid, wenn er da ist. Jetzt möchte ich erst mal mit Miss Kingsley sprechen.«
Sie folgten Gosse ins Haus. Eine breite, geschwungene Treppe führte von einer in schwarzem und weiÃem Marmor gefliesten Eingangshalle nach oben. Im ersten Stockwerk öffnete Gosse eine Tür zu einem kleinen Zimmer, brummte etwas und ging.
Eine junge Frau saÃ, tief in ihren Mantel verkrochen, auf einem Stuhl. Die Hände hatte sie in die Ãrmel geschoben, als wollte sie sich wärmen. Sie hob den Kopf, als die beiden Beamten mit Gosse ins Zimmer traten.
Riley schätzte sie auf Anfang zwanzig. Das dunkle rote Haar, das im Nacken mit einer Spange zusammengehalten war, brachte das blasse, ovale Gesicht mit den vollen Lippen und den grauen Augen eindrucksvoll zur Geltung. Selbst der lange dünne Kratzer auf ihrer Wange, den sie gelegentlich mit einem Taschentuch abtupfte, konnte ihrer auÃergewöhnlichen Schönheit nichts anhaben. Riley bemerkte ihre äuÃerliche Gefasstheit und die Tasse Tee, die, offenbar unberührt, vor ihr auf dem Schreibtisch stand.
»Miss Kingsley?«
Sie stand auf und versuchte zu lächeln. »Ja, ich bin Ellen Kingsley.«
»Ich bin Inspector Riley, Kriminalpolizei. Und das ist Sergeant Claybrooke.« Er gab ihr die Hand. »Bitte setzen Sie sich doch, Miss Kingsley. Soll ich jemanden holen, der sich um diese Verletzung kümmern kann?«
»Nein, danke. Es ist ja nur ein Kratzer.«
»Ich kann mir vorstellen, dass das ein schlimmes Erlebnis für Sie war, und werde mich bemühen, Sie nicht zu lange festzuhalten. Sind Sie in Gildersleve Hall beschäftigt?«
»Ja, ich arbeite hier als Forschungsassistentin.«
»Dr. Redmond war ebenfalls im Haus tätig, richtig?«
»Ja.« Sie griff nach der Teetasse, schien sich dann jedoch anders zu besinnen und zog die Hand wieder zurück. »Er war einer der leitenden Wissenschaftler.«
»Waren Sie mit ihm befreundet?«
»Nein, befreundet nicht.« Sie schien unter Schock zu stehen, aber ihre Stimme war fest. »Dr. Redmond hatte eigentlich keine Freunde. Wir haben ein paarmal miteinander geredet.«
»Und Sie haben ihn gefunden?«
»Ja. Ich wollte ihn nach der Arbeit besuchen, weil ich mir Sorgen um ihn gemacht habe.«
»Warum?«
»Er war nicht zur Arbeit gekommen, und ich dachte, er wäre vielleicht krank geworden, weil er in den Tagen zuvor schon stark erkältet war. Im Moment geht bei uns die Grippe um.«
»Sie wollten also zu ihm. Und wie?«
»Zu FuÃ. Es gibt einen FuÃweg durch den Wald.«
»Wie sind Sie denn ins Haus gelangt?«
»Die Haustür war nicht abgeschlossen.«
»Wissen Sie, ob das immer der Fall war?«
»Ich war nur einmal vorher dort, und da war auch nicht
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