An einem Tag im Winter
Riley bemerkte die Scharten in den Steinstufen, die zur Haustür hinaufführten, und den blätternden Lack an den Fensterrahmen.
Zuerst sprachen sie mit Dr. Pharoah. Pharoah gab sich tief bewegt von Redmonds Tod, aber Riley spürte die unterschwellige Abwehr und Gereiztheit. Danach unterhielt sich der Inspector mit den anderen Mitarbeitern, während Mildmay bei Pharoah blieb, und zum Schluss suchte er Ellen Kingsley in ihrem Labor auf.
Im Gegensatz zum Vortag sah sie tief erschöpft aus, als könnte sie sich kaum auf den Beinen halten. Riley fragte sich, ob sie in der vergangenen Nacht überhaupt geschlafen hatte. Die durchscheinenden bläulichen Schatten unter den Augen traten auf der weiÃen Haut umso stärker hervor, und der lange dünne Kratzer auf ihrer Wange hob sich so scharf ab wie ein dunkler Federstrich auf weiÃem Papier. Aber das alles änderte nichts daran, dass er sich auf eine Weise zu ihr hingezogen fühlte, die ihn stark beunruhigte, zeigte dies doch, wie abgenutzt seine Gefühle für Pearl waren.
Die junge Frau, die mit Miss Kingsley im Zimmer saàâ dunkelhaarig und hübsch auf eine strenge Art â, warf ihm einen unwilligen Blick zu. »Es tut mir leid, dass ich Sie beide bei der Arbeit stören muss«, sagte er. »Eigentlich wollte ich nur mit Ihnen sprechen, Miss Kingsley. Vielleicht lässt sich ein anderer Raum finden.«
»Natürlich«, erwiderte sie und eilte so schnell aus dem Labor hinaus, als könnte sie es gar nicht erwarten, dem kalten Raum den Rücken zu kehren.
Auf dem Flur sagte er: »Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn wir in Dr. Redmonds Labor gingen?«
»Nein, ganz wie Sie wollen.« Es war verständlich, dass sie nicht gerade erfreut aussah. »Aber dann hole ich mir erst meinen Mantel. Da oben ist es noch eisiger als hier.«
Im Turmlabor zog Inspector Riley einen Hocker unter dem Arbeitstisch für sie heraus. »Bitte, setzen Sie sich. Ich sehe Ihnen an, dass Sie lieber nicht hier wären, aber ich brauche Ihre Hilfe. Ich kann mir einfach keinen Reim auf diesen Raum machen.«
»Wie meinen Sie das?«
»Wie hat der Mann hier jemals etwas gefunden ?«
»Ich glaube, er wusste genau, wo alles war. Wenn Sie sich näher umschauen, werden Sie erkennen, dass der Raum nicht unordentlich ist, sondern schlicht und einfach überladen. Ich glaube, Dr. Redmond gehörte zu den Leuten, die alles aufheben.«
»Briefmarken und Sammelkarten?«
»Und Bücher und Zeitschriften, und allem Anschein nach hat er auch sämtliche wissenschaftlichen Geräte aufbewahrt.«
»Als ich meinem Chef erzählte, Sie hätten den Eindruck, Dr. Redmonds Haus sei durchsucht worden, fragte er, woran Sie das bei dieser Unordnung überhaupt erkennen konnten.«
»Es ist durchsucht worden, da bin ich sicher«, entgegnete sie beinahe trotzig. »Dr. Redmond hasste es, wenn man etwas nicht an den Ort zurückstellte, von dem man es weggenommen hatte.«
»Und wer könnte es durchsucht haben?«
»Das weià ich auch nicht.«
Er merkte, dass sie ihm etwas verschwieg. Aber was? Sie strich das Haar zurück, das ihr ins Gesicht gefallen war. »Auf dem Weg zum Haus gestern Abend ist mir aufgefallen, dass keine FuÃspuren im Schnee waren. Zuletzt hatte es Montagnacht geschneit, das heiÃt, dass die Person, die das Haus durchsucht hat, vorher da gewesen sein muss. Und das wiederum bedeutet meiner Ansicht nach, dass Dr. Redmond am Montagabend von der Treppe gestürzt ist. Er hatte also schon einen ganzen Tag dort gelegen, als ich ihn fand.« Sie war sichtlich erschüttert.
»Sie wollen sagen, Dr. Redmond hätte aufgeräumt, wäre er dazu noch fähig gewesen?«
»Ja.«
»Ihre Ãberlegungen stimmen ziemlich genau mit unseren Schätzungen zur Todeszeit überein.«
»Es ist komisch«, sagte sie stirnrunzelnd, »ich glaube nicht an ein Leben nach dem Tod oder daran, dass man danach noch irgendwas empfindet, trotzdem ist es mir eine schreckliche Vorstellung, dass er die ganze Zeit allein und verlassen in dem Haus gelegen hat.«
Er merkte, wie sehr sie sich anstrengte, die Tränen zurückzuhalten. »Es ist das Letzte, was wir für die Menschen tun können, die wir verloren haben«, sagte er ruhig. »Ihnen Respekt zu erweisen, bei ihnen zu wachen. Sie haben Dr. Redmond offenbar gerngehabt.«
»Ja, das
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