An einem Tag im Winter
nicht.«
»Aber es ist wahr.«
Als sie weitergingen, begriff sie langsam, wie so etwas möglich sein konnte, eine Affäre zwischen Marcus Pharoah und Andrée Fournier, wie gut es zu dem Schweigen und der Geheimniskrämerei passte, denen sie in Gildersleve Hall immer wieder begegnet war.
»Wann?«
»Es hat angefangen, bevor Sie gekommen sind. Sie haben gedacht, sie wäre meinetwegen unglücklich. Kann sein, dass das mitunter zutraf, auch wenn es nie meine Absicht war, sie unglücklich zu machen. Wirklich unglücklich hat Pharoah sie gemacht.«
Ellen hatte das Gefühl, als wäre sie wirr und mit halb geschlossenen Augen durch ein Labyrinth gestolpert. »Das habe ich nicht gewusst. Ich hatte keine Ahnung.«
»Andrée und ich haben uns sehr bald, nachdem sie in Gildersleve angefangen hatte, ineinander verliebt. Am Anfang war alles gut, wir waren glücklich. Aber nach einiger Zeit habe ich eine Veränderung an ihr bemerkt. Manchmal hat sie wie aufgedreht gewirkt, und dann war sie wieder empfindlich wie eine Mimose und wahnsinnig launisch. Ich bekam allmählich immer mehr das Gefühl, dass sie Schluss machen wollte. Als sie es dann wirklich getan hat, war ich natürlich niedergeschmettert, aber ich habe es akzeptiert. Bis ich sie eines Tages weinend im Labor vorgefunden habe. Zuerst wollte sie mir nicht sagen, was los war, aber dann hat sie zugegeben, dass sie etwas mit Pharoah hatte.«
»Aber der Mann ist doch verheiratet!« Ellens Worte, so einfältig und naiv, schienen nachzuhallen.
Alec lächelte sarkastisch. »Frau und Tochter. Ein Haus auf dem Land. Die perfekte heile Familie. Alles Lug und Trug. Ich habe eine Weile gebraucht, um es zu merken. Ich bin auf die Fassade reingefallen â genau wie alle anderen.«
Sie spürte die unterdrückte Wut in seiner Stimme, ein verhaltenes Beben, wie das erste Grollen des Donners, das Knirschen von Steinen, die unter Wasser aneinanderrieben.
»Andrée war nicht die Erste«, fuhr er fort. »Pharoah hat sich immer andere Frauen nach Gildersleve geholt, schon bevor ich dort angefangen habe. Bill Farmborough hat mir das alles erzählt, nachdem ich ihn gründlich unter Alkohol gesetzt hatte.«
»Andere Frauen?«
»Ja.« Ein bitteres Lächeln. »Wahrscheinlich hat er immer irgendeine am Wickel. Vielleicht sucht er sie nach dem Aussehen aus. Sie kommen nach Gildersleve, weil sie dort arbeiten möchten, Pharoah versprüht seinen Charme, erzählt ihnen, sie hätten eine groÃe Zukunft vor sich, nimmt sie mit zu Konferenzen und Seminaren. Andrée hat sich vermutlich geschmeichelt gefühlt. Nicht einmal nachdem er mit ihr Schluss gemacht hatte, hat sie ihn durchschaut. Sie war anscheinend völlig geblendet und unfähig zu erkennen, was er für ein Lügner und Heuchler war.«
Plötzlich fügte sich alles ineinander. Vielleicht hatte Pharoa Andrée zu einer Konferenz am Cavendish-Laboratorium mitgenommen; vielleicht hatte sich Andrée, geblendet vom Glanz seiner Aufmerksamkeit, danach zu einem Drink von ihm einladen lassen. Vielleicht waren sie dann irgendwo zum Abendessen gegangen. Andrée, eine weltgewandte Pariserin, wäre nicht auf und davon gelaufen, um sich in die Sicherheit ihrer Wohnung zu flüchten.
Vielleicht hatte Pharoah Andrée in sein Haus in Barton eingeladen. Ellen sah den primelgelben Salon der Pharoahs vor sich, Marcus Pharoahs Freunde und Familie, seine schöne, verwöhnte Tochter und seine Frau, die inmitten ihrer Orchideen stand und weinte. Hatte Alison Pharoah in ihr, Ellen, die nächste Rivalin gesehen, die nächste Demütigung? Hatte sie aus Schmerz darüber geweint, immer wieder dieselbe Erniedrigung erleiden zu müssen?
Erinnerungen, die sie lieber unterdrückt hätte, sprangen sie an. Das Hotel in Cambridge an jenem nebligen Winterabend, die Bar, in der Pharoah ihr gegenübergesessen hatte.
Wünschen Sie sich, dass Rowena auch einmal Naturwissenschaftlerin wird, Marcus?
Das wäre schön, ja, besonders wenn es ihr gelänge, dabei so charmant und sympathisch zu bleiben, wie Sie und Mademoiselle Fournier es sind.
Alec sagte: »Ich konnte Ihnen das nicht erzählen, als Sie in Gildersleve waren. Schon Andrées wegen nicht. Das verstehen Sie doch?«
»Natürlich«, murmelte sie.
Taxis und Busse mit wild zuckenden Scheibenwischern brausten ungeduldig hupend durch die Oxford
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