An und für dich
seine Actionfigur.
»Nein! Kein Spielzeug, keine Bücher, kein Fernsehen, bis du dich entschuldigt hast.«
»Joe«, sagte Saffy, nachdem Liam in sein Zimmer gegangen war. »Ich glaube, das war ein bisschen zu streng.«
Joe schüttelte den Kopf. »Er könnte wirklich netter zu dir sein. Du bist immer so lieb zu ihm.«
Sie biss sich auf die Lippe.
»Die vielen kleinen Dinge, die du für ihn tust, dass du mit ihm beim Friseur warst, dass du ihm geholfen hast, eine neue Brille auszusuchen, das bedeutet ihm wirklich viel. Ich will nur, dass er dir das auch zeigt, mehr nicht.«
Er stand auf und ließ Wasser in die Spüle.
Saffy stand auch auf und legte die Arme um ihn. Sie drückte ihre Wange an seinen Rücken. Sie fühlte seine Wärme durch das T-Shirt und das schwache, aber gleichmäßige Schlagen seines Herzens unter ihrer Hand. Sie hätte ewig so stehen können.
»Vielleicht hast du recht.« Joe streichelte ihr mit seiner schaumigen Hand das Gesicht. »Vielleicht war ich wirklich zu streng.«
»Ich rede mal mit ihm. Ich erkläre ihm das schon.«
Saffy holte eine Tüte, die sie im Schlafzimmer deponiert hatte, und ging zu Liam. Sie klopfte an. Nach einer Weile klopfte sie noch einmal. Sie setzte sich auf den Treppenabsatz. Der Teppich im Stil der Siebziger war hellgrün und hatte ein Muster aus neongrünen Wellen. Von dem Anblick konnte einem wirklich schlecht werden.
»Liam?«
Fünf Minuten vergingen, dann noch einmal fünf.
»Ich kann gut verstehen, dass du keine Lust hast, mit mir zu reden. Ich könnte auch gut verstehen, wenn du nie wieder mit mir reden willst. Aber ich würde trotzdem gern kurz reinkommen und dir erklären, was vorhin passiert ist, ja?«
Liam lag auf dem Bauch auf seiner Decke mit dem Spidermanbezug, was Saffy angesichts der Tatsache, dass ihr eigenes Leben auch gerade ein ziemlich verworrenes Netz darstellte, sehr passend fand.
»Ich weiß nicht so richtig, was ich sagen soll«, begann sie. Das war vielleicht nicht der beste Einstieg, aber wenigstens war es die Wahrheit. »Ich war vorhin vor meinem Freund blöd zu dir. Ich habe so getan, als würde ich dich nicht kennen. Du denkst vielleicht, das war, weil ich mich für dich schäme, aber das stimmt nicht. Im Gegenteil, ich bin sehr stolz auf dich.«
Das war auch die Wahrheit. Liam hatte seine Mutter verloren, seine Freunde, sein Zuhause, sein ganzes Leben in Chicago.
Es musste unvorstellbar schwer gewesen sein. Wie stark man sein musste, um so etwas im Alter von neun Jahren durchzustehen.
»Ich schäme mich für mich selbst. Ich wusste einfach nicht, was ich tun soll. Der Typ in dem Gemüsekostüm im Supermarkt ist jemand, mit dem ich früher, na ja, zusammen war.«
Das stimmte zumindest zum Teil. Wenn sie richtig ehrlich hätte sein wollen, hätte sie ihm erklären müssen, dass sie mit Greg verheiratet war. Aber sie konnte einen kleinen Jungen ja nicht gut mit sämtlichen Details ihres verkorksten Lebens belasten.
Liam stützte sich auf die Ellenbogen.
»Du warst mit der Selleriestange zusammen?«
Er sah sie mit Joes Augen an: lange Wimpern, kühles Blau, eine dunkle Linie um die Iris. Es fühlte sich seltsam an.
»Ja, wir waren ziemlich lange zusammen. Als ich mich von ihm getrennt habe, hat er mich gebeten, dass wir uns ein paar Monate Zeit nehmen, um darüber nachzudenken, ob wir nicht doch vielleicht wieder zusammen sein wollen oder ob wir uns wirklich für immer trennen. Das wollte ich eigentlich nicht, aber ich war sehr durcheinander, und deshalb habe ich einfach Ja gesagt.«
Liam nickte, als ob er so etwas jeden Tag in der Schule erlebte.
»Aber dann habe ich deinen Dad kennengelernt«, fuhr Saffy fort, »und ich mag ihn wirklich sehr, sehr gern.« Das stimmte von allen Dingen, die sie bis jetzt gesagt hatte, am meisten.
»Ich hätte ihm, also dem Sellerietypen, sagen sollen, dass ich jemand anderen kennengelernt habe, aber ich hab’s ihm nicht erzählt. Und als ich ihn dann im Supermarkt getroffen habe, hatte ich Angst, er würde sich total aufregen, wenn er mich zusammen mit deinem Dad sieht. Deshalb habe ich so getan, als ob wir beide uns nicht kennen. Aber das ist keine Entschuldigung dafür, und es tut mir wirklich sehr leid.«
»Ist schon okay.« Liam zuckte die Achseln.
»Ich hab hier ein Friedensangebot für dich.« Sie hatte die Hausschuhe vor ein paar Tagen gekauft. Sie hatte heimlich nachgesehen, welche Schuhgröße er trug, damit sie ihm auch wirklich passen würden. Die Schuhe waren schwarz-weiß
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