Ana Veloso
Mir
schmeckt's.« León grübelte einen Augenblick und fuhr fort: »Sag mal, ihr habt
doch bestimmt auch Bohneneintopf gekocht. Gib mir davon einen Teller.«
Bia war sprachlos. Natürlich hatten sie schwarze
Bohnen da, sie und Carlos aßen sie jeden Tag. Aber dass ein vornehmer Senhor
und das war León Castro in ihren Augen, auch wenn er ihr Lohn bezahlte und sie
nicht behandelte wie eine Sklavin – dieses simple Gericht essen wollte, war ihr
noch nie untergekommen. Aber gut, wenn er es so wünschte ... Sie ging in die Küche,
fischte in dem großen Topf nach den paar Fleisch- und Speckstücken, mit denen
der Eintopf angereichert war, und brachte ihm den Teller. Dann beobachtete sie
von der Tür aus, wie ihr Herr die feijoada mit größtem Genuss
verschlang.
»So etwas Feines haben sie in Europa nicht, Bia.«
Die Schwarze war sich ganz sicher, dass ihr Herr
sie auf den Arm nehmen wollte, und verzog ihr Gesicht ihm zuliebe zu einer
Grimasse, die ihre Belustigung ausdrücken sollte, tatsächlich aber ihre große
Besorgnis widerspiegelte. León interpretierte ihre Mimik richtig.
»Keine Sorge, Bia, ich bin nicht verrückt
geworden. Ich bin höchstens verrückt vor Freude, dass ich wieder hier bin.«
Felix war zwischenzeitlich zurück zum Kontor gegangen,
das er gelernt hatte zu verabscheuen. Er war der einzige Schwarze, der dort
arbeitete, und seine Stummheit gab den anderen noch mehr Anlass, ihn zur
Zielscheibe ihrer Bosheiten zu machen. Den ganzen Tag in dem düsteren
Schreibraum zu verbringen, auf Gedeih und Verderb den gemeinen Launen seiner
Kollegen und seines Vorgesetzten ausgesetzt, das war wirklich kein
Zuckerschlecken. Umso mehr musste er darauf achten, sich keine Unbotmäßigkeiten
oder Verfehlungen zu leisten. Er hatte in den letzten Wochen seine Mittagspause
ausfallen lassen, um stattdessen am Nachmittag, wenn normalerweise die Schiffe
aus Europa einliefen, am Hafen Ausschau nach León zu halten. Heute, endlich,
war León an Bord gewesen, und Felix' Freude kannte keine Grenzen. Erst als er
wieder im Kontor ankam, erhielt seine gute Stimmung einen beträchtlichen Dämpfer.
»Wo hast du so lange gesteckt, du Faulpelz?
Glaubst du, du kannst dir solche Freiheiten herausnehmen, weil du dank der
Protektion des ehrenwerten León Castro hier gelandet bist?« Seu Nelson geriet
in Rage. »Meinst du vielleicht, dein Gebrechen würde unser Mitleid erregen?
Denkst du, du könntest, weil du anders aussiehst, dich auch anders benehmen?
Oder glaubst du sogar, nur weil der Patrão dich einmal gelobt hat, könntest du
dir hier irgendwelche Mätzchen erlauben?« Nelson Garcías Stimme wurde immer
lauter und schriller. »Denkst du das, du nichtsnutziger Neger?!«
Die anderen Angestellten heuchelten extreme
Konzentration auf die Papiere, die vor ihnen lagen, feixten aber und ließen
sich kein Wort entgehen. Endlich! Dieser aufgeblasene Wicht hatte es nicht
besser verdient. Seit er hier im Kontor des Tabakhändlers Bosi arbeitete, war
ihr Leben nicht mehr dasselbe wie vorher. Der Junge war ehrgeizig, fleißig und
klug. Er arbeitete für sein bescheidenes Gehalt doppelt so viel wie die
anderen, und obwohl der Chefbuchhalter, Seu Nelson, die Verdienste des Jungen
so gut wie möglich vor Jorge Bosi verheimlichte, war der Patrão auf Felix
aufmerksam geworden. Seitdem hatten sie alle ihr Arbeitspensum drastisch erhöhen
müssen, es war auf einmal vorbei mit den unzähligen Kaffeepausen in der Confeitaria »Hernandes« nebenan und mit den nachlässig gehandhabten Dienstzeiten.
Felix sah schuldbewusst zu Boden und schüttelte
den Kopf. Was für dumme Fragen Seu Nelson stellte! Wie konnte nur irgendjemand
glauben, er fühle sich als etwas Besseres, wenn ihm doch Tag für Tag unter die
Nase gerieben wurde, dass er der letzte Dreck war.
»Du wirst heute Abend länger hier bleiben,
verstanden?«
Felix nickte.
»Du wirst den Schreibraum fegen, die Spucknäpfe
leeren und endlich einmal Arbeiten verrichten, zu denen du geboren wurdest.«
Felix erlaubte sich aufzusehen.
»Und wenn du mich noch länger mit deinem aufmüpfigen
Blick anstarrst, dann kannst du diese Arbeiten in den nächsten Monaten
ebenfalls tun!«
Felix unterdrückte mit Mühe Tränen des Zorns.
Warum ließen sie ihn nicht einfach in Ruhe? Warum konnte er nicht still seiner
Arbeit nachgehen, die an sich schon eine Strafe war? Warum schien es ihm
jedermann zu verübeln, dass er gut schreiben und rechnen konnte? Die Weißen
duldeten es nicht, wenn ein Schwarzer
Weitere Kostenlose Bücher