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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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vergessen?
Konnte man den Umgang mit dem eigenen Geld verlernen? Und was in drei Teufels
Namen fand er an einer ordinären Mango so faszinierend? Die Dinger wuchsen
schließlich überall, mancherorts so zahlreich, dass niemand sie ernten mochte,
sondern sie auf die Erde fielen, wo sie verrotteten und die Wege rutschig
machten.
    León seinerseits wunderte sich über die
niedrigen Preise. In England hätte er für fünf Vinténs ganze zwei Äpfel
bekommen. Er holte ein Sixpencestück aus der Tasche und gab es Felix.
    »Hier, das ist für dich. Es ist umgerechnet fünfhundert
Reis wert, vielleicht hast du ja eines Tages Verwendung dafür. Wenn nicht, wechsle
ich es dir.«
    Felix wusste, dass er die Münze niemals brauchen
würde, denn eine Reise nach England war das Letzte, was er sich wünschte. Aber
er würde sie trotzdem behalten – eine so exotische Münze hatte einen Platz in
seiner kleinen Kiste verdient, die derjenigen, die er vor seiner Flucht
besessen hatte, aufs Haar glich. Auch die neue Zigarrenkiste hütete er wie
einen großen Schatz, und er füllte sie mit allerlei Krimskrams, der ihm der
Aufbewahrung würdig erschien. Felix wusste, dass er eigentlich schon zu alt für
solche Kindereien war. Aber es musste ja niemand davon erfahren.
    Sie ergatterten mit viel Glück und unter Felix'
ganzem Einsatz eine Droschke. Als sie das Hafengebiet in südlicher Richtung
verließen war León froh, dass Felix nicht sprechen konnte. Er genoss es,
schweigend den Anblick der Stadt in sich aufzunehmen. So vieles hatte sich verändert!
An der Rua da Misericórdia wurde ein riesiger Palast errichtet, die Rua do
Ouvidor war neu gepflastert worden, an der Praça Tiradentes hatte ein neues
Theater eröffnet, und an der Strandpromenade von Gloria waren Palmen
angepflanzt worden. Wenn sich Rio weiter in diesem Tempo entwickelte, würde es
bald London und Paris an Größe Konkurrenz machen können.
    Die Kutsche ruckelte in gemächlichem Tempo über
die Straßen. »He, Kutscher, schlafen Sie ein?«
    Der Kutscher sah León verständnislos an. Er fuhr
doch so schnell wie alle anderen auch.
    Felix warf León ebenfalls einen ratlosen Blick
zu.
    León merkte, dass seine Hast hier fehl am Platz
war.
    »Weißt du, Felix, in Europa muss alles viel
schneller gehen als hier. Alle sind immer in Eile. Ich muss mich erst wieder
daran gewöhnen, dass die Uhren in Brasilien anders ticken.«
    Dennoch bat León den Kutscher, schneller zu
fahren. Er wollte nach Hause. Er hatte das dringende Bedürfnis, sich zu
waschen, sich umzuziehen und endlich wieder aktiv zu werden. Während der
achtundzwanzigtägigen Überfahrt hatte er ein wenig geschrieben, war aber
ansonsten zur Untätigkeit verdammt gewesen. Und es gab reichlich Arbeit für
ihn.
    In England hatte sein missionarischer Eifer für
die Abschaffung der Sklaverei Früchte getragen. Die Elite, die sich ihrer
Menschenfreundlichkeit und Barmherzigkeit rühmte, hatte ihn mit offenen Armen
empfangen, ihm mit glühender Begeisterung gelauscht, ihn gefördert und mit
Geldmitteln zur Fortsetzung seines Kampfes ausgestattet. Als Korrespondent des »Jornal
do Commércio« war er gekommen, als gefeierter Held einer geheiligten Sache war
er gegangen. Aber auch als zutiefst verunsicherter Mann. Denn was León Castro
in England gesehen hatte, war schlimmer als die Zustände, die in seiner Heimat
herrschten: Minen, in denen verlauste und abgemagerte Kinder schufteten, deren
Gesichter unter der dicken schwarzen Staubschicht so alt wirkten wie die Welt
selbst; Webereien, in denen ganze Familien sich die Finger wund arbeiteten,
ohne je genügend für ein bescheidenes Leben in Würde zu verdienen; Druckereien,
Stahlgießereien oder Sägewerke, in denen ein Großteil der Arbeiter mit stumpfen
Augen und verstümmelten Gliedmaßen einer tumben Beschäftigung an Maschinen
nachging, deren ununterbrochene Funktionstüchtigkeit über das Wohl der Arbeiter
gestellt wurde; Mädchen, kaum älter als zwölf, und welke Weiber, die sich halb
nackt auf den Straßen Londons feilboten, der nasskalten Luft nur mit Hilfe von
Schnaps trotzend. Die Engländer übten Druck auf Brasilien aus, damit es die schändliche
Sklaverei abschaffte – und versklavten ihr eigenes Volk. Was für eine ekelhafte
Heuchelei! León hatte sich jedoch über seine inneren Zweifel hinweggesetzt und
weiter, wenn auch voller Unmut, die Reichen und Mächtigen davon überzeugt, dass
sie ihren Druck auf Brasilien verschärfen mussten. Eine Wirtschaftsmacht

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