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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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Lächeln, wandte dann schnell den Blick von ihm ab und widmete
sich hingebungsvoll ihrem Croissant. Sie wunderte sich selber, wie gut es ihr
gelang, sich kühl zu geben. In ihrem Innersten brodelte es.
    León hatte an diesem Tag eigentlich nach Bananal
fahren wollen, einer weiteren Hochburg des Kaffeeanbaus, um dort eine Rede zu
halten und die angesehenen Bürger der Stadt auf seine Seite zu ziehen. Keine
besonders schwierige Aufgabe, denn außer den Fazendeiros gab es kaum noch
Brasilianer, die für die Sklaverei waren. Viele bekannten sich nur noch nicht
zu dieser Haltung, weil sie von den Fazendeiros abhängig waren. Ob
Schlachtermeister, Gesetzeshüter, Museumskurator, Geigenbauer oder
Bahnhofsvorsteher – ohne die Aufträge, die Bestechungsgelder oder die Protektion
der Kaffeebarone erginge es ihnen schlecht. Erst wenn alle gemeinsam gegen die
Sklaverei vorgingen, wären sie gegen die unausweichlichen Rachegelüste der
Feudalherren gefeit. Das war es, was León ihnen in seinen Artikeln und in
seinen Reden klar zu machen versuchte. Hatte der Postbote erst verstanden, dass
der Gastwirt oder der Notar mit ihm in einem Boot saßen, und hatte er sich erst
mit den anderen verständigt, fehlte nicht mehr viel, bis er sich als
Abolitionist zu erkennen gab. León hatte in anderen Kleinstädten die Erfahrung
gemacht, dass er mit seinen Reden offene Türen einrannte – er war derjenige,
der den Leuten mit seinen Argumenten ein Ventil für die schwelenden Animositäten
gegen die Fazendeiros, vielleicht auch für den Neid, bot. Bananal wäre keine
Ausnahme, und in Wahrheit langweilte León die Aussicht auf die Reise.
    Er war gerade am Bahnhof angekommen, als ein
Kurier des Hofes, unschwer an seiner Uniform zu erkennen, im Laufschritt auf
ihn zukam.
    »León Castro? Ihre kaiserliche Hoheit, die Prinzessin
Isabel, wünscht Ihre sofortige Anwesenheit im Kaiserpalast.«
    »So, wünscht sie die?«
    Der Kurier sah ihn beleidigt an. Natürlich hatte
die Prinzessin, oder besser gesagt, ihr persönlicher Beraterstab, nur die
dringende Bitte geäußert, León Castro zu rufen. Es handelte sich schließlich
weder um eine Verhaftung noch um eine Vorladung. Dennoch hatte der Kurier es
noch nie zuvor erlebt, dass irgendjemand den Wunsch der Prinzessin in Frage
stellte.
    »Eh, ja, also ...«, stammelte er.
    León war insgeheim froh, dass man ihm einen
Vorwand geliefert hatte, die unselige Reise nach Bananal kurzfristig abzusagen.
Er war in Gedanken heute ganz woanders. Und er war todmüde. Er hatte die ganze
Nacht kein Auge zugetan, weil ihn Vitas böse Anschuldigungen und ihre kalte
Ablehnung tief getroffen hatten. Was hatte er schon Schlimmes getan, außer ein
paar Leute zu befreien, die von Rechts wegen ohnehin hätten frei sein müssen?
Das war kein Diebstahl, im Gegenteil. Die wahren Diebe waren doch die
Fazendeiros, die andere Menschen ihrer Freiheit beraubten! Und als Grund dafür
führten sie deren dunklere Hautfarbe an mein Gott, was für eine Verlogenheit!
Portugiesen waren doch selbst nichts als Mischlinge: Römer, Galizier, Mauren
und weiß der Teufel wer alles hatten sich in Portugal über die Jahrhunderte
gemischt. Was, wenn plötzlich Chinesen in Europa einfallen und Menschen
einfangen würden, die sie als Arbeitskräfte auf ihren Reisfeldern brauchten?!
Wie konnte ein intelligenter Mensch wie Vita nur die Sklaverei befürworten, und
wie konnte sie nur blind die Vorurteile übernehmen, die ihre Eltern sie gelehrt
hatten? Sie musste doch selber die Erfahrung gemacht haben, dass es unter den
Farbigen alle Wesenszüge und Eigenarten gab, die auch die Weißen hatten: kluge
und dumme, fleißige und faule, schöne und hässliche, gerissene und naive, gutmütige
und bösartige, großzügige und kleingeistige Menschen gab es unter allen Völkern
dieser Erde. Wie konnte Vita staunend vor der anbetungswürdigen Vielfalt der
Natur stehen, wenn es um Pflanzen oder Singvögel ging, dieselbe Vielfalt bei
Menschen aber schlichtweg so interpretieren, wie es ihr und ihrer Geldgier am
besten passte?
    Der Kurier stand immer noch vor ihm und räusperte
sich. »Ja, also Ihre Hoheit, die Prinzessin Isabel, hat ...«
    León erlöste den Kurier aus seiner Verlegenheit:
»Schon gut. Ich komme ja mit.«
    Er war ausgesprochen neugierig, was so wichtig
war, dass man ihn dafür sogar am Bahnhof aufstöberte.
    Nach dem Frühstück scheuchte Vitória sämtliche
Dienstboten auf, um ihr bei den Reisevorbereitungen und beim Packen zu helfen.
Ausgerechnet

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