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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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León, der die ganze Zeit über
aus dem Fenster gestarrt hatte, zu ihnen um. In seinem Blick lag glühender
Zorn.
    »Vita, ich weiß nicht genau, wie du empfunden hättest,
wenn du Dona Alma zwanzig Jahre lang nur heimlich hättest besuchen können; wenn
du dabei das ganze Elend, die ganze Verzweiflung in den senzalas kennen
gelernt hättest; wenn dir deine Stieffamilie immer zu verstehen gegeben hätte,
dass deine leibliche Mutter nicht mehr wert ist als ein Hund; oder wenn du
schließlich deine eigene Mutter geerbt hättest, wie eine Ware, ein Ding, das in
der Inventarliste des Nachlasses weit unter dem Walnussschrank rangiert.
    Nein, Vita, das weiß ich nicht, aber ich könnte
mir vorstellen, dass es dich genauso zerfressen hätte, wie es bei mir der Fall
war. Und ich könnte mir ebenfalls vorstellen, dass du ähnliche Konsequenzen aus
diesen Erfahrungen gezogen hättest wie ich.«
    Vitória sah León gequält an und enthielt sich
eines Kommentars. Natürlich, was León durchgemacht hatte, war schrecklich. Aber
er sollte sie doch inzwischen gut genug kennen, um zu wissen, dass sie mit
diesen Castros nicht das Geringste gemein hatte. Sie behandelte die Schwarzen
gut, und manche von ihnen waren ihr durchaus mehr wert als ein Schrank.
    León hatte ihren Blick offenbar völlig falsch gedeutet,
denn plötzlich explodierte er: »Und verschon mich bloß mit deinem Mitleid!«
    »Ich empfinde kein Mitleid mit dir, León. Ich
frage mich nur, wie jemand mit deinem Werdegang jemals auf die irrwitzige Idee
kommen konnte, ausgerechnet eine weiße Sinhazinha zu ehelichen, die Tochter
eines Sklavenhalters, des > Feindes < also. Ist das deine Art der Rache?
Bin ich nur Stellvertreterin für die Herrschaften, die dich erniedrigt haben,
und muss ich jetzt für deren Sünden büßen?«
    »Aber Vita«, mischte sich nun Dona Doralice in
den Wortwechsel ein, »was für eine dumme Frage. Wenn jemand so unerklärliche
Dinge tut, und so unverzeihliche, dann gibt es dafür nur einen Grund: die
Liebe.«
    »Unsinn«, warf León ein, der immer noch
aufgebrachter war, als ihn Vitória je zuvor erlebt hatte. »Vita hat mit ihrem
außergewöhnlich scharfen Verstand den Nagel auf den Kopf getroffen. Und findest
du nicht, mein Herz, dass mein Rachefeldzug sehr effizient ist? Leider waren
dafür einige Opfer notwendig.« Er sah traurig seine Mutter an. »Es tat mir in
der Seele weh, Mãe, dir die Hochzeit zu verschweigen. Vielleicht ist es dir ja
ein Trost, dass meine Beweggründe für diese Eheschließung ohnehin nicht eben
 romantischer Natur waren. Aber glaubst du, Vita hätte mich zum Mann
genommen, wenn sie meine Herkunft gekannt hätte?«
    »Aber natürlich hätte ich
das! Es war immer mein größter Wunsch, Kinder in die Welt zu setzen, die womöglich
ganz nach ihrer Großmutter väterlicherseits geraten. Mit Verlaub, Dona
Doralice: hellbraune Mischlingskinder. Aber so weit ist es ja Gott sei Dank
nicht gekommen. León, ich fürchte, diesen perfidesten Punkt deiner Rachepläne
wirst du nun nie mehr realisieren können.«
    »Das werden wir ja noch sehen.«
    Dona Doralice lauschte dem hässlichen
Schlagabtausch zwischen ihrem Sohn und ihrer Schwiegertochter mit wachsendem
Unbehagen. Mein Gott, wie konnten die beiden nur so aneinander vorbeireden!
Erkannten sie denn nicht das Offensichtliche?
    »So, ich gehe jetzt lieber. Vita, vielleicht können
wir uns ja dieser Tage einmal treffen und uns unterhalten, nur wir zwei, unter
Frauen. Ich denke, es gibt allerhand zu besprechen – und ich bin mir sicher,
dass du noch viele Fragen hast, die ich dir beantworten kann.« Sie reichte Vitória
die Hand, die diese diesmal ergriff. »Dona Doralice, es war mir eine Ehre, Sie
kennen zu lernen. Dennoch halte ich es für das Beste, wenn wir uns nicht
wiedersehen. Ich glaube nicht, dass meine Ehe mit León, die nur auf Lügen
aufgebaut ist, Bestand haben wird.«
    Dona Doralice war anderer Meinung, sagte aber
nichts. Sobald Vitória die neuen Erkenntnisse verdaut haben würde, wäre sie
bereit, das längst überfällige Gespräch mit ihr zu suchen. Dona Doralice ging
zu León, umarmte ihn, küsste ihn auf beide Wangen und verließ wortlos den Raum.
    Sie hinterließ ein Vakuum, in dem Vitórias und
Leóns Wut augenblicklich erlosch. Übrig blieben nur Traurigkeit, Verletztheit
und Resignation.
    »Vita ...«
    »Es ist alles gesagt, oder?«
    »Geh nicht.«
    Vitória schüttelte kaum merklich den Kopf, bevor
auch sie sich umdrehte und den Salon verließ. Sie wollte

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