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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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nicht, dass León die
Tränen in ihren Augen sah – diesen Triumph gönnte sie ihm nicht. Als sie leise
die Tür hinter sich geschlossen hatte, lief sie, so schnell sie konnte, auf ihr
Zimmer, wo sie sich, endlich, ungeniert ihren Gefühlen hingeben konnte. Doch
kaum dass sie dort angekommen war, war der Drang, sich aufs Bett zu werfen und
hemmungslos zu weinen, verflogen. Als habe die letzte halbe Stunde all ihre
Energie verzehrt, fühlte Vitória auf einmal nichts mehr außer Trostlosigkeit.
Eine ungeheure Müdigkeit überfiel sie, doch bevor sie sich schlafen legte,
wollte sie sich noch zu einem Brief an Pedro und Joana aufraffen. Ihr Bruder
und seine Frau sollten sich schließlich keine unnötigen Gedanken über ihre plötzliche
Abreise machen. Morgen würde sie nach Boavista zurückkehren. Dort, im Schutz
ihrer Familie, in der Kraft spendenden Natur und in den Erinnerungen an ihre
unbeschwerte Kindheit würde sie Abstand gewinnen zu ihrer unglücklichen Ehe.
Allein beim Gedanken an eine Tasse Kakao in Luizas heimeliger Küche wurde es
Vitória wärmer ums Herz. Sie würde abends mit ihrem Vater auf der Veranda
sitzen, eingehüllt in den Qualm seiner Zigarre, und dic Ereignisse des Tages
durchsprechen. Sie würde Dona Alma so viel vorlesen, wie sie es sich wünschte,
und vielleicht sogar Trost in den Bibelstellen finden, die sie früher nur
lieblos heruntergeleiert hatte. Sie würde die Erntearbeiten beaufsichtigen und
Seu Fernando mit ihrer Gegenwart in den Wahnsinn treiben. Sie würde sich am süßlichen
Duft der trocknenden Kaffeekirschen berauschen, und sie würde sich von Bolo und
José durch die Gegend kutschieren lassen, um die vernachlässigten Kontakte zu
Nachbarn und alten Freunden wieder aufzufrischen.
    Nachdem Vitória den Brief beendet hatte,
klingelte sie nach dem Mädchen und ließ sich das Abendessen aufs Zimmer
bringen. Mit großem Appetit – die Aussicht auf ihre bevorstehende Abreise hatte
eine unglaublich revitalisierende Wirkung auf sie – aß sie sämtliche Leckereien
auf, die die Köchin liebevoll für sie auf dem Tablett arrangiert hatte, eine
Menge, die normalerweise für zwei Personen gereicht hätte. Anschließend ließ
sie sich von Eleonor aus ihrem Kleid helfen, geflissentlich bemüht, die
neugierigen Blicke des Mädchens zu ignorieren. Offenbar hatte sich unter dem
Personal schon herumgesprochen, was vorhin im Salon passiert war – die
Dienstboten hatten ihre Augen und Ohren immer und überall offen. Vitória war
froh, als sie das elegante Kleid endlich abstreifen konnte und mit ihm das beschämende
Gefühl, sich zum Narren gemacht zu haben. Wie hatte sie sich nur jemals
einbilden können, León mit ein wenig Nachgiebigkeit und einem hübschen Äußeren
zu beeindrucken? Wo bei anderen Menschen das Herz pulsierte, saß bei León
nichts weiter als ein dichter Knoten aus Hass, Grausamkeit und der wilden
Entschlossenheit, sie zu quälen. Als Vitória endlich im Bett lag, wälzte sie
sich ruhelos hin und her. Was für ein Tag! Die Ereignisse gingen ihr nicht aus
dem Kopf, an Schlaf war diese Nacht wohl kaum zu denken. Nur gut, dass bald ein
neuer Tag begann – er konnte ja nur besser werden als der heutige.

XXIII
    Der folgende Tag sollte, anders als Vitória
geglaubt hatte, verheerend werden.
    Dabei hatte er so vielversprechend begonnen. Vitória
erwachte von einem Sonnenstrahl, der durch einen Spalt in der Gardine direkt
auf ihr Gesicht fiel. Sie betrachtete das als gutes Omen. Hellwach und voller
Tatendrang beeilte sie sich mit der allmorgendlichen Prozedur des Waschens und
Anziehens, bevor sie sich zum Frühstück ins Esszimmer begab. León saß bereits
am Tisch, stand aber auf, als Vitória hereinkam. Er faltete seine Zeitung
zusammen und sah sie missmutig an.
    »Ich werde dir das Frühstück durch meine
Anwesenheit nicht verderben.«
    »Oh, bitte mach dir keine Umstände. Es wird
ohnehin unser letztes gemeinsames Frühstück sein. Ich reise heute Mittag ab.«
    »Das trifft sich gut, ich habe ebenfalls vor,
heute zu verreisen.«
    »Eine weitere kleine Diebestour, hm? Tu mir nur einen
Gefallen und nähere dich nie wieder Boavista oder seinen Bewohnern.« León hob
die Augenbrauen zu einem Ausdruck gelangweilter Herablassung, klemmte sich die
Zeitung unter den Arm, nahm im Stehen den letzten Schluck Kaffee aus seiner
Tasse und ging. An der Tür drehte er sich noch einmal zu Vitória um.
    »Gute Reise, mein Herz.«
    »Danke, gleichfalls.« Vitória schenkte León ihr
künstlichstes

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