Ana Veloso
Alma hatte panisch alle Türen von innen verrammelt und
sich dann in ihr Zimmer eingeschlossen. Sie hörte, wie Fenster eingetreten
wurden. Ein paar junge Burschen wüteten im Salon, wurden aber schließlich von
Luiza vertrieben, die mit einem Topf siedenden Öls eine äußerst effiziente
Waffe gegen die Eindringlinge zur Hand hatte. Vor dem Haus versuchte der alte
José wacker, mit der Reitpeitsche ein paar Männer davon abzuhalten, ihm die
Kutsche zu stehlen, aber seine Anstrengungen waren vergebens. Die Männer
enterten das Gefährt mit viel Gejohle, doch schon nach wenigen Metern brach die
Kutsche unter dem Gewicht all der Menschen zusammen, die noch aufgesprungen
waren. Eduardo da Silva hatte den Nachmittag in Begleitung seines Verwalters
auf einem abgelegenen Teil seiner Ländereien verbracht, um den Schaden zu
begutachten, den ein Sturm verursacht hatte. Von dem Sturm, der zurzeit über
das Vale hinwegfegte, bekam er nichts mit. Erst als er sich kurz vor Einbruch
der Dämmerung auf den Heimweg machte und ihm eine Gruppe Schwarzer entgegenkam,
erfuhr er von den Geschehnissen. Plötzlich entdeckte er Miranda inmitten des
Zuges, die sich in ihrem adretten Kleid auffallend von den anderen abgerissenen
Gestalten abhob.
»Ja, Senhor Eduardo, jetzt sind wir endlich an
der Reihe!«
»Aber Miranda, Mädchen, wo willst du denn hin?
Glaubst du, diese Leute«, dabei deutete er mit unverhohlener Verachtung auf die
Gruppe, »könnten dir das bieten, was du bei uns hast?«
Ein hoch gewachsener Feldsklave stellte sich schützend
vor Miranda, sah Eduardo hasserfüllt an und spuckte ihm vor die Füße. »Das und
noch viel mehr, Senhor.« In die Anrede »Senhor« legte er dabei so viel
Sarkasmus, dass Eduardo Angst bekam. Dem Mann stand die Mordlust ins Gesicht
geschrieben. Besser, er entfernte sich möglichst rasch von den Schwarzen.
»Viel Glück, Mädchen«, rief er und gab seinem
Pferd die Sporen. Als er und der Verwalter Boavista erreichten, überkam ihn
grenzenlose Furcht. Die Fazenda lag ganz still da, und obwohl es bereits dunkel
war, drang nicht der kleinste Lichtstrahl aus dem Haus.
»0 Gott!«, stieß er hervor.
Der Verwalter hatte die Augen ebenfalls vor
Schreck geweitet. »Senhor Eduardo, wenn Sie nichts dagegen haben, schaue ich
mal nach, wie es drüben bei uns aussieht.«
Eduardo entließ Fernando mit einer ungeduldigen
Handbewegung. Nichts könnte ihm jetzt gleichgültiger sein als das Verwalterhäuschen
und seine Bewohner. Eduardo stieg von seinem Pferd, band es an einem Pfosten
des Geländers der Treppe fest und stieg langsam die Stufen hinauf, müde und wie
um Jahre gealtert. Das Knirschen eines Glassplitters, den er mit der Sohle
seines Schuhs zermalmte, erschreckte ihn. Die Haustür ließ sich nicht öffnen. »Alma!«,
rief er laut durch die eingeschlagene Scheibe im oberen Teil der Tür. »Alma!
Mach auf, ich bin es!«
Nach ein paar Sekunden, die ihm wie eine
Ewigkeit erschienen, hörte er schlurfende Geräusche aus der Halle.
»Sinhô Eduardo, wie gut, dass Sie heil zurückgekommen
sind. Dona Alma geht es nicht gut. Was für eine Schande, was für eine Schande
...« Luiza öffnete ihm die Tür, die von innen mit einer Kommode verstellt war.
»Gute Frau, lauf und hol eine Lampe. Die
Dunkelheit macht das Ganze auch nicht einfacher.«
Als Luiza mit der Lampe wiederkam, sah Eduardo,
dass die alte Sklavin sich seinen Armeerevolver in den Rockbund gesteckt hatte.
Wider Willen begann er laut zu lachen.
»Ach, Luiza! Hättest du wirklich auf deine
eigenen Leute geschossen?«
»Meine Leute? Dreckige Feldneger, undankbare
Halbstarke und verkommene Schlampen? Das sind nicht meine Leute. Sie und Dona
Alma und Sinhazinha Vita und Nhonhô Pedro, Sie sind meine Leute.«
Inzwischen war auch José in der Halle
erschienen. Er weinte, als er seinem Herrn vom Verlust des Pferdegespanns erzählte.
Auch alle anderen Pferde seien ihnen gestohlen worden, und der faule Bolo, den
er wie seinen Sohn behandelt hatte, sei einer der Anführer gewesen. »Dieser
Nichtsnutz und Tagedieb hat meine schöne Kutsche auf dem Gewissen – aber ohne
Pferde nützt sie uns ja eh nicht mehr viel.« Wieder wurde er von einem
erbarmungswürdigen Schluchzer geschüttelt.
Eduardo hörte den Klagen des alten Kutschers nur
mit halbem Ohr zu. »Wo ist Dona Alma?«, unterbrach er ihn.
»Oben, in ihrem Zimmer.« Luiza stieg mit der
Lampe vor Eduardo die Treppe hoch und leuchtete ihm den Weg. Vor der Tür zu
Dona Almas Zimmer wies Eduardo sie
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