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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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die
historischen Worte verkündete: »Hiermit erkläre ich die Sklaverei in Brasilien
für beendet.«
    Der heutige Sonntag, der 13. Mai 1888, würde, so
viel stand für Aaron fest, als besonders wichtiges Datum in die Geschichtsbücher
Eingang finden – dabei war er nichts weiter als die logische, konsequente und
extrem verspätete Folge all dessen, was seit mehr als achtzig Jahren diskutiert
wurde. Und einen Grund zum Feiern sah Aaron schon gar nicht. Er fand es
eigentlich eher peinlich für Brasilien, dass es so lange gebraucht hatte, sich
zu diesem Gesetz durchzuringen, obendrein zu einem Zeitpunkt, da die Freiheit
den Schwarzen mehr Nachteile als Vorteile brachte. Jetzt, da es im Land
reichlich Arbeitskräfte aus Europa gab, die qualifiziert und billig waren, würden
die Schwarzen höchstens noch zu den allerniedrigsten Arbeiten herangezogen
werden und dafür auch nur Hungerlöhne bekommen. Die Schwarzen würden in der Tat
frei sein – frei, für einen Teller Bohnen ihre Seele zu verkaufen.
    Aaron wandte sich von dem Spektakel auf der Straße
ab, ging in die Wohnung und konzentrierte sich wieder auf die Unterlagen, die
er übers Wochenende bearbeiten musste. Und obwohl er ihn zu ignorieren
versuchte, schlich sich der Gedanke an Vita immer wieder in den Vordergrund.
Sie hatte Recht behalten. In weiser Voraussicht hatte sie ihr Vermögen vermehrt
und sich eine Existenz jenseits von Kaffeepflanzungen und Sklaverei aufgebaut.
Aber einen Grund zum Jubeln hatte sie heute ganz sicher nicht. Aaron schloss
die Augen und gab sich einen winzigen Moment lang einem Anflug von Mitgefühl
hin – eine Regung, die er sich seinen Klienten gegenüber normalerweise nicht
gestattete.
    Félix' Kopf tat noch immer weh. Als er gestern
bei Lili hereingeschneit war, mit nichts als dem, was er am Leibe trug und vor
Aufregung zitternd, hatte ihn die einstige Bekannte aus Esperanca-Zeiten zunächst
nicht erkannt. Doch als er seine Perücke abnahm und ihre unwirschen Fragen mit
Gesten beantwortete, erinnerte sie sich wieder. »Félix, der Glückliche! Mir
scheint, du hast zurzeit nicht ganz so viel Glück, was? Aber das werden wir
hier schnell ändern. Such dir ein Mädchen aus – zum Gedenken an alte Zeiten und
zum Zeichen meiner Gastfreundschaft.« Félix war wie vor den Kopf gestoßen. Er
hatte natürlich gewusst, dass Lili ein Bordell betrieb, aber er war doch nicht
mit der Absicht hierher gekommen, sich zu vergnügen! Er machte Lili deutlich,
dass ihm nicht der Sinn nach der Art von Ablenkung stand, den das Bordell zu
bieten hatte. »Immer noch schüchtern, was? Oder hast du so lange unter feinen
Leuten gelebt, dass dir dieses Haus und die Leute, die darin verkehren, nicht
mehr gut genug sind?«
    Tatsächlich ekelte sich Félix vor den Huren, die
alt, fett und ungepflegt waren. Es schüttelte ihn beim Gedanken an den
fleckigen Diwan im »Salon«, und am meisten widerte ihn der Geruch nach Sünde,
Erbrochenem und schalem Bier an. Aber hatte er eine Wahl? Nur in der Halbwelt
Rios würde er unsichtbar bleiben, würde er im Schutz der Dunkelheit, der Scham
und dem sonderbaren Ehrgefühl, das daraus resultierte, überleben. Er zwinkerte
Lili zu und erklärte ihr, dass er verlobt sei.
    Lili brach in schallendes Gelächter aus. »Als ob
das jemals einen Mann davon abgehalten hätte, sich bei uns zu amüsieren! Na ja,
Junge, wenn du deine Verlobte erst ein paar Tage nicht gesehen hast, kannst du
gerne auf mein Angebot zurückkommen.« Von einem Moment auf den anderen wurde
sie wieder ernst. »Sag mal, Félix, du bist doch ein schlaues Bürschchen, nicht
wahr? Du hast doch von uns allen auf Esperanca am schnellsten lesen und
schreiben und rechnen gelernt? Kannst du noch etwas davon? Ich jedenfalls kann
nur gut rechnen – aber das konnte ich schon vorher. Mit Buchstaben habe ich es
nicht so.«
    Félix nickte und gab ihr zu verstehen, dass er
in der Zwischenzeit sogar noch viel mehr gelernt hatte.
    »Pass auf: Wenn du willst, gebe ich dir ein
Zimmer, zu essen und zu trinken, so viel du willst, und ich bezahle dir noch
ein kleines Gehalt. Dafür musst du nichts weiter tun, als mir ein bisschen beim
Schreibkram helfen. Behördenschriebe beantworten, Einladungskarten aufsetzen
und so. Wie findest du das?«
    Félix fand den Vorschlag gut. Als er die Summe
erfuhr, die Lili ihm zahlen wollte, fand er ihn sogar grandios. Was für ein Glückspilz
er doch war! Er hatte sich in Sicherheit gebracht und gleichzeitig eine Arbeit
ergattert, die viel

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