Ana Veloso
lukrativer war und bestimmt auch viel lustiger, als die im
Kontor. Seine neue Chefin holte zwei Gläser von einem Tablett auf der Anrichte,
die so aussahen, als seien sie nach dem letzten Gebrauch nicht abgewaschen
worden, goss großzügig Zuckerrohrschnaps hinein und reichte ihm eines davon, um
die Vereinbarung zu begießen.
Und jetzt, keine vierundzwanzig Stunden später
und immer noch unter den Folgen des billigen Schnapses leidend, sollte er
erneut trinken. In Lilis Bordell stießen die Huren, die eben erst aufgestanden
waren, miteinander auf das Ende der Sklaverei an, und Felix musste wohl oder übel
mittrinken, wenn er es sich nicht bereits an seinem ersten richtigen Arbeitstag
mit den Frauen verderben wollte. Denn dass er die Arbeit in dem Bordell
behalten würde, auch wenn er jetzt frei war und keine Bestrafung mehr zu fürchten
hatte, stand für ihn fest.
Chefarzt Doutor João Henrique de Barros fluchte
laut und für alle hörbar vor sich hin. Sonntags waren sie ohnehin schon
unterbesetzt, und jetzt, da einige der Schwestern einfach die Klinik verlassen
und sich spontan unter die Menschenmenge draußen auf dem Platz gemischt hatten,
um dort weitere Neuigkeiten zu erfahren, war die Arbeit kaum zu bewältigen. Das
wenige Personal, das in der Klinik geblieben war, war ihm keine wesentliche
Hilfe. Permanent musste er es zur Ordnung rufen. Schön, die Verkündung des
neuen Gesetzes und die Stimmung auf der Straße mochten ja aufregender sein als
die Pflege der Patienten. Aber waren sie auch wichtiger? Die Verbände des
Senhor Ribeiro de Assis mussten dringend gewechselt werden, das Fieber der
kleinen Kátia musste mit dem ständigen Erneuern von Wadenwickeln unter Kontrolle
gebracht werden, und die Blinddarmoperation der alten Dona Ursula duldete
keinen Aufschub mehr. Wie sollte er anständige Arbeit leisten, wenn sogar seine
rechte Hand, Oberschwester Roberta, nicht bei der Sache war?
»Schwester, sorgen Sie dafür, dass alle Fenster
und Läden geschlossen werden. Anschließend sorgen Sie dafür, dass die
Schwestern sich den Kranken widmen und nicht dem unwürdigen Schauspiel dort
draußen.« Mit einem maliziösen Grinsen fügte er hinzu: »Die Leute, die sich
dort wie Verrückte gebärden, werden sich eh bald in unserer Klinik
wiederfinden.«
João Henrique sollte Recht behalten. Am späten
Nachmittag wurden die ersten Verletzten in den »Vitória-Castro-da-Silva-Flügel«
eingeliefert, den alle weiterhin »Südflügel« nannten. Die meisten Patienten
waren halb bewusstlos nach dem übermäßigen Konsum von selbst gebranntem Cachaça
und darum wenig empfindlich für die Schmerzen, die er ihnen beim Nähen ihrer
Platzwunden verursachte. Es folgten mehrere Frauen, die, wahrscheinlich nach
exzessivem Tanzen unter der prallen Sonne, in Ohnmacht gefallen waren und sich
beim Sturz hässliche Wunden am Kopf oder auch Gehirnerschütterungen zugezogen
hatten. Es wurden Schwarze und Weiße eingeliefert, alte und junge Leute, arme
und reiche. Verstauchte Knöchel mussten behandelt, gebrochene Nasen gerichtet,
Splitter entfernt und Schultern eingerenkt werden. Natürlich hörte auch das
normale Leben mitten in dem Chaos nicht auf, ihm Patienten zuzuführen. João
Henrique holte Kinder zur Welt, diagnostizierte Magengeschwüre und verabreichte
den Todgeweihten hohe Dosen an Morphium. Er schiente Beine, schnitt Furunkel
auf, behandelte Leistenbrüche. All das tat er mit dem höchsten Maß an
Konzentration, zu dem er fähig war, und ohne jede Gefühlsregung. Sein anfänglicher
Arger wurde abgelöst von der Ruhe, die der Routine innewohnt. Er arbeitete wie
eine Maschine, schnell und präzise, ohne sich eine Pause zu gönnen und ohne auf
die Signale seines eigenen Körpers zu achten.
Gegen acht Uhr am Abend ließ er die Fenster
wieder öffnen. Der Gestank in den Krankensälen war unerträglich. Darüber hinaus
war João Henrique ein überzeugter Frischluftanhänger, nur die außergewöhnliche
Situation hatte ihn überhaupt dazu veranlasst, die natürliche Ventilation vorübergehend
zu stoppen. Allmählich legte sich die Aufregung, die von allen außer ihm Besitz
ergriffen hatte. Gerade als der junge Arzt sich an seinen Schreibtisch setzen
und eine Tasse Kaffee trinken wollte, die Schwester Ursula ihm unaufgefordert
gebracht hatte, erschien ein Bote an seiner Tür. »Sind Sie der Doutor João
Henrique de Barros? Die Senhora Joana da Silva schickt nach Ihnen. Es sei sehr
dringend.«
Pedro hatte auf das richtige Pferd
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