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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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auch fernmündlich
seine Meinung kundtun konnte. Es war natürlich extrem unwahrscheinlich, dass
die Redakteure von sich aus bei ihm anriefen, noch dazu um diese Zeit.
Vielleicht war es Pedro, in dessen Haus Vitória ebenfalls ein Telefon hatte
installieren lassen, damit ihr Vater einen weiteren potenziellen Gesprächspartner
hatte.
    Sie hörten ihn nebenan lachen und setzten ihr
Essen schweigend fort. Vitória war froh darüber, dass es überhaupt noch etwas
auf der Welt gab, das ihren Vater aus seiner Apathie reißen konnte, auch wenn
es nur seine Freude an Technik war. Vielleicht sollte sie ihm zum Geburtstag
ein weiteres technisches Spielzeug schenken – es wurde heutzutage ja alle
naslang etwas Neues erfunden. In der Zeitung hatte sie gelesen, dass in
Deutschland ein Gefährt gebaut worden war, das aus eigenem Antrieb fuhr, wie
eine Kutsche ohne Pferde. So etwas wäre genau das Richtige für ihren Vater. Er
könnte den ganzen Tag durch die Stadt fahren und die Passanten mit diesem »Patent-Motorwagen«
erschrecken. Außerdem könnte er sich intensiv mit dem Motor dieses Gefährts
beschäftigen, ihn auseinander nehmen, wieder zusammenbauen und so seiner
Funktionsweise auf den Grund gehen, wie er es bei dem Telefon ebenfalls getan
hatte. Gleich morgen Früh würde sie sich erkundigen, ob es dieses neuartige Gefährt
schon zu kaufen gab, was es kostete und wie sie es nach Brasilien schaffen
konnte. Aaron, der in aller Welt entfernte Verwandte hatte, kannte bestimmt
auch jemanden in Deutschland, den er darauf ansetzen konnte.
    »Das war Pedro«, sagte Eduardo, als er sich
wieder an den Tisch setzte. »Er will, dass wir nach dem Essen zu ihm fahren. Er
hat nämlich Besuch. Ratet mal, von wem?«
    »Von irgendwelchen Schmarotzern wahrscheinlich«,
rutschte es Vitória heraus. Ihr Bruder war zu großzügig, und viele »alte
Freunde« meldeten sich bei ihm, von dem schönen Haus zu der falschen Annahme
verleitet, er habe Geld. Das Haus und den gehobenen Lebensstandard Pedros und
Joanas finanzierte Vitória. León lachte kurz auf. »Du kannst dir wohl nicht
vorstellen, dass es Menschen gibt, die Pedro um seiner selbst mögen.«
    Vitória quittierte diese boshafte Bemerkung mit
einer verächtlich gehobenen Augenbraue, um sich dann wieder ihrem Vater
zuzuwenden.
    »Sagen Sie schon, Papai. Wer ist es?«
    »Rogério Vieira de Souto!«
    »Da seht ihr es: Schmarotzer, genau wie ich es
gesagt habe.«
    »Aber Vitória, wie kannst du nur so über einen Mann reden, der
praktisch dein Verlobter war?«, empörte sich Dona Alma. »Rogério ist ein alter
Schulfreund deines Bruders und unser ehemaliger Nachbar. Als solcher hat er ja
wohl ein Anrecht darauf, freundschaftlich empfangen zu werden, auch wenn seine
Familie verarmt ist.«
    »Sie können gerne zu Pedro fahren und sich mit
Rogério über die guten alten Zeiten unterhalten. Ich bevorzuge es, hier zu
bleiben, mich zeitig zu Bett zu begeben und morgen gut ausgeruht an die Arbeit
zu gehen. Einer muss ja das Geld verdienen, das Pedro seinen Freunden leiht. Im
Übrigen frage ich mich, wieso Rogério nicht einfach hierher kommt. Hat er neben
seinem Vermögen auch all seinen Mumm eingebüßt?«
    »Vielleicht«, warf León ein, »hat er gehört, was
aus dir geworden ist.«
    Was sollte das nun wieder heißen? Aus ihr war
die Ehefrau eines hoch angesehenen Politikers geworden, eine erfolgreiche Geschäftsfrau
und eine elegante Städterin. Nein, die Landpomeranze, der Rogério einst den Hof
gemacht hatte, gab es nicht mehr, genauso wenig wie das blauäugige Mädchen, mit
dem er so hingebungsvoll getanzt hatte. Aber das war nun einmal der Lauf der
Dinge, aus Kindern wurden Erwachsene, Sorglosigkeit wurde von Verantwortung
abgelöst und Ahnungslosigkeit von Wissen. Durch die Abschaffung der Sklaverei
und die dramatische Veränderung ihrer Lebensumstände war dieser natürliche
Prozess noch beschleunigt worden. Manchmal fühlte Vitória sich schon wie eine
Frau in mittleren Jahren, dabei war sie gerade einmal 22 Jahre alt. Himmel, wie
hatte sie nur so schnell erwachsen werden können? Dabei hatte sie selber ja
trotz aller Schwierigkeiten noch großes Glück gehabt. Rogério war es nicht so
gut ergangen wie ihr. Vitória konnte sich gut vorstellen, wie sich das auf sein
Aussehen ausgewirkt haben mochte.
    »Vielleicht will er mich auch nicht sehen
lassen, was aus ihm geworden ist.«
    »Also, ich würde Rogério sehr gerne treffen«,
sagte Dona Alma. »Er war immer ein netter Bursche, gut

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