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Ana Veloso

Ana Veloso

Titel: Ana Veloso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Der Duft der Kaffeeblüte
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überschattet
war von dem irrationalen Unbehagen, das sie in seiner Gegenwart immer überfiel.
Vitória hatte mehr als einmal mit dem Gedanken gespielt, sich von León scheiden
zu lassen. Doch Ehescheidungen waren so verpönt, dass Vitória Abstand von
dieser Idee nahm. Ihrem Vater, der schon gebeutelt genug war, hätte es das Herz
gebrochen. Und im Grunde machte es ja kaum einen Unterschied, ob sie mit León
verheiratet war oder nicht: Sie lebten jeder ein eigenes Leben, verfolgten ihre
eigenen Interessen, lebten wie Fremde nebeneinander her. Einzig das Haus
teilten sie, aber das war zum Glück so weitläufig, dass sie sich gut aus dem
Weg gehen konnten.
    Ab und zu kam Dona Doralice ihren Sohn besuchen,
doch weder Dona Alma noch Eduardo wunderten sich darüber, dass eine
Mischlingsfrau von León mit Küssen und Umarmungen empfangen wurde. Zu diesem
Haus hatten ja die sonderbarsten Leute Zugang, Ausländer, Farbige und
Lumpenpack. Ihr exzentrischer Schwiegersohn pflegte nun einmal einen absolut
unstandesgemäßen Umgang, doch mittlerweile verziehen sie ihm seinen Snobismus,
den er nur aus England mitgebracht haben konnte.
    Himmel, wenn ihre Eltern wüssten, dass Dona
Doralice, eine Ex-Sklavin, Leóns Mutter war! Vitória verstand selber nicht so
genau, warum sie ihnen diese Information vorenthalten hatte. Es war, als sei
sie die Sünderin, die eine schwere Lüge beichten musste und dieses Geständnis
vor sich herschob, wo doch in Wahrheit einzig und allein León für seinen Fehler
hätte geradestehen müssen. Doch wie ein Schulkind, das von älteren Schülern
tyrannisiert wird und sich für seine eigene Schwäche schämt, konnte Vitória
sich nicht dazu überwinden, ihre Eltern aufzuklären. Das Ergebnis dieses
fehlgeleiteten Schuldgefühls war, dass León weiterhin mehr Ansehen bei ihren
Eltern genoss als sie selber, während er mit seiner Feigheit bei Vitória das
letzte bisschen Respekt einbüßte, das sie noch für ihn übrig gehabt hatte.
    Zum Abendessen erschien León in festlicher
Aufmachung. Er trug einen seiner besten Anzüge, war frisch rasiert, parfümiert
und pomadisiert und freute sich sichtlich auf die Veranstaltung, zu der er nach
dem Abendessen gehen würde. Was auch immer das für ein Termin sein mochte,
dachte Vitória, ganz sicher wären dort auch Frauen anwesend, und ebenso sicher
würden diese schamlos mit León flirten – er sah heute Abend einfach umwerfend
aus.
    »Wie nett von dir, León, dass du dich extra für
uns so in Schale geworfen hast! Wenn ich gewusst hätte, dass du etwas zu feiern
hast, hätte ich dafür gesorgt, dass unser bescheidenes Diner dasselbe Niveau
hat wie deine Garderobe.«
    »Eigentlich«, warf Dona Alma ein, bevor León
antworten konnte, »sollte unser Essen immer ein gewisses Niveau haben.«
    »Sehr richtig, Dona Alma«, sagte León, »in einem
Haus wie diesem ist es nur angemessen, immer die besten Speisen aufzutischen.«
    Dona Alma nickte zustimmend und sah dann ihre
Tochter missbilligend an.
    Vitória hätte schreien können vor Wut. Hörte
ihre Mutter denn nicht die Ironie in Leóns Worten? Hatte sie noch immer nicht
begriffen, dass León nur ein gemeines Spiel mit ihnen trieb? Nein, anscheinend
nicht. Dona Alma sah ihren gut aussehenden Schwiegersohn verzückt an, und León
zwinkerte Dona Alma verschwörerisch zu.
    Vitória hatte Mühe, nicht die Kontrolle über
sich zu verlieren. »Nicht alle haben einen so geschulten Gaumen wie du, León.
Und manchen Menschen liegen deine Lieblingsgerichte ein bisschen schwer im
Magen.« Und nicht nur die, hätte sie hinzufügen mögen. Noch unerträglicher war
Leóns verlogene Art, sich bei ihren Eltern einzuschmeicheln, einzig aus dem
boshaften Vergnügen heraus, sie, Vitória, damit zu ärgern.
    In diesem Moment klingelte das Telefon, und
Eduardo da Silva, der die ganze Zeit in sich zusammengesunken am Tisch gesessen
und mit ausdruckslosem Gesicht den Wortwechsel mitverfolgt hatte, sprang auf
und lief mit der Energie eines Jugendlichen zu dem Apparat, der nebenan im
Salon an der Wand hing. Neben dem Schreiben von Leserbriefen war Telefonieren
die liebste Beschäftigung Eduardos. Zwar gab es in Rio de Janeiro noch nicht
viele Haushalte, die über diesen famosen Fernsprechapparat verfügten, aber die
Redaktionen der Zeitungen, die Eduardo mit seiner Flut an Protestschreiben und überflüssigen
Kommentaren zum Zeitgeschehen belästigte, hatten inzwischen alle dieses
Wunderding der modernen Technik, sodass Eduardo da Silva nun

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